Grave Mercy Die Novizin des Todes
Vision. Der Heilige übermittelt uns durch sie seinen Willen, dann leiten sie und die Äbtissin unsere Hände.«
»Wie passt Kanzler Crunard in das Bild?«, fragt Duval.
»Er fungiert als Vermittler zur Außenwelt und hält die Äbtissin über die Politik bei Hof auf dem Laufenden.«
»Und Ihr habt nur das Wort der Schwester, dass es eine Vision gegeben hat?«
Ich drehe mich zu Duval um. »Ihre Worte sind über jeden Zweifel erhaben. Die Schwestern dienen Mortain.«
»Er wirft eine interessante Frage auf«, bemerkt die Herzogin. »Wie könnt Ihr Euch so sicher sein, dass die Visionen dieser Frauen korrekt sind? Woher wisst Ihr, dass sie dem Heiligen Mortain dienen und nicht ihren eigenen Interessen? Und was ist, wenn sie einen Fehler machen?«
»Das tun sie nicht.« Ich richte meine Antwort an die Herzogin und tue mein Bestes, mir einzureden, dass Duval nicht im Raum sei. »Wenn sie nicht die Wahrheit sprächen, dann würden wir nicht das Mal des Todes auf unseren Opfern sehen, und wir würden nicht handeln.«
Die Herzogin ist fasziniert von dieser Idee. »Das Mal des Todes? Wie sieht das aus?«
»Es sieht aus, als habe der Heilige Seinen Finger in die Dunkelheit der Seele eines Mannes getaucht und ihn damit gesalbt. Manchmal kann uns das Mal auch zeigen, wie ein Mann sterben muss.«
»Und auf diese Weise werdet Ihr auch wissen, wie Ihr hier in Guérande verfahren müsst, abseits Eurer Seherin?«
Ich schüttele den Kopf. »Wir haben die Verabredung, dass die Äbtissin mir mittels einer Krähe die Visionen übermittelt. Aber sollte ich zufällig ein solches Todesmal ohne einen Befehl von ihr sehen, ist es mir gestattet, Mortains Wünsche zu erfüllen.«
»Mon dieu!« Die Herzogin lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück und sieht Duval an. »Wissen alle Mitglieder des Kronrates von diesem Kloster?«
Duval schüttelt den Kopf. »Ich glaube, nur Crunard arbeitet mit der Äbtissin zusammen. Marschall Rieux hat eine vage Kenntnis der Lage, und Dunois hat wahrscheinlich Gerüchte unter seinen Männern gehört, aber er ist Franzose, unser verstorbener Vater hat ihn nicht in bretonische Geheimnisse eingeweiht. Madame Dinan weiß nichts darüber – oder sollte nichts darüber wissen –, was der Grund ist, warum ich darum gebeten habe, sie von dieser Zusammenkunft fernzuhalten.«
Die Herzogin legt den Kopf schräg und mustert mich. »Wer kennt sonst noch Ismaes wahre Identität?«
»Nur Kanzler Crunard.«
»Dann stimme ich zu, dass wir es dabei belassen sollten.« Ich stehe auf, als sie sich erhebt. Sie streckt mir die Hand hin. »Ich bin froh, dass Ihr hier seid, Ismae. Es ist ein Trost für mich zu wissen, dass Ihr und der Schutzheilige des Todes Duval helft, mir Flankenschutz zu geben.«
Ich küsse ihren herzoglichen Ring und bin voller Ehrfurcht, dass die Tochter eines Rübenbauern ihrer Herrscherin gegenübertreten durfte. »Es ist mir eine große Ehre, Euch zu dienen, Euer Hoheit.«
Sie lächelt wieder, was ihr junges Gesicht verwandelt. »Ich heiße Euch an meinem Hof willkommen. Eure Fähigkeiten werden bei meinen streitsüchtigen Baronen überaus praktisch sein«, fügt sie im Scherz hinzu.
Zumindest glaube ich, dass es ein Scherz ist.
Zwanzig
ICH LIEGE IM BETT, und mir schwirrt noch immer der Kopf von den plappernden Stimmen, die den Hof an diesem Abend erfüllt haben. Ich habe zwar viel gehört, aber nichts erfahren. Duval ist immer noch ein Rätsel, und falls er ein Verräter ist, wie der Kanzler und die Äbtissin vermuten, habe ich keine Ahnung, für wen er arbeiten könnte.
Sein Hass, sowohl auf d ’ Albret als auch auf den französischen Gesandten, ist förmlich mit Händen zu greifen, aber natürlich könnte er das leicht vortäuschen. Doch was ist mit der Wildheit, mit der er seine Schwester beschützt? Ich erinnere mich an den grimmigen Zug um seinen Mund, an den Zorn in seinen Augen und an die lodernde Wut, und ich muss zugeben, dass nicht einmal er das vortäuschen könnte. Was all meine anderen Argumente in Staub verwandelt.
Vielleicht ist Duval genau der Mann, der er zu sein vorgibt, ein hingebungsvoller Bruder, der darauf aus ist, dafür zu sorgen, dass seine Schwester zur Herzogin gemacht und glücklich mit einem Mann vermählt wird, der an ihrer Seite gegen die Franzosen kämpfen kann. Gewiss ist es das, was die Herzogin glaubt.
In der Hoffnung, dass die Nachtruhe Klarheit bringen wird, schließe ich die Augen und richte meine Gedanken darauf einzuschlafen. Statt in einen erholsamen
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