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Graveminder

Graveminder

Titel: Graveminder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Marr
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Finger hinein, um den Klöppel festzuhalten. Die Glocke sollte am Grab läuten, nicht hier.
    Sie wandte sich Byron zu, damit er sie zu dem Wagen begleitete, der sie zum Trauergottesdienst am Grab bringen würde, genau wie William einst Maylene. Byron würde sie an den rechten Ort bringen. Seit sie gestern Nacht zurückgekommen war, fühlte es sich richtig an, dass er an ihrer Seite war. So wie damals, als sie nach Claysville gezogen war, so wie damals, als Ella starb, so wie jedes Mal, wenn sie ihn sah.
    Ich kann nicht hierbleiben, dachte sie. Ich kann nicht bei ihm bleiben. Ich werde es nicht tun.
    Rebekkah umklammerte das Glöckchen und glitt in das glatte schwarze Innere des Wagens. Sie streckte eine Hand in Richtung Tür aus und hinderte Byron daran, sich zu ihr zu setzen. »Bitte, ich wäre lieber allein.«
    Kurz flammte Ärger in seinem Blick auf, doch er schwieg zu ihrer Zurückweisung. Stattdessen setzte er sein Berufsgesicht wieder auf. »Wir treffen dich auf dem Friedhof«, sagte er.
    Dann schloss er die Tür und ging zu dem wartenden Leichenwagen.
    Ich stehe das ohne ihn durch … und dann gehe ich fort.
    Ohne Maylene war Claysville nur irgendeine Stadt, kein echtes Zuhause mehr. Sie hatte sich vorgemacht, Claysville sei etwas Besonderes, aber sie hatte schon an vielen Orten gelebt und wusste es besser. Eine Stadt war wie die andere. In Claysville galten ein paar merkwürdige Regeln, aber die waren alle unwichtig geworden. Maylene war tot, und es gab keinen Grund mehr, immer wieder hierher zurückzukehren.
    Außer Byron.
    Außer dass sie immer noch hier daheim war.
    Rebekkah sah aus dem Fenster, als der Leichenwagen auf die Straße hinausfuhr. Ihr Fahrer setzte sich dahinter und folgte William, der Maylene zu ihrer letzten Ruhestätte lenkte.
    Als der Fahrer um den Wagen trat und ihr die Tür öffnete, hörte Rebekkah das übertrieben dramatische Heulen bereits. Es war Cissy. Über das Gras schritt Rebekkah zu den Stuhlreihen, die unter einem Zeltdach aufgestellt waren, und läutete dabei das Glöckchen. Maylene hätte von ihr erwartet, dass sie sich tadellos benahm. Sie hatte im Voraus für alles gesorgt, zweifellos in der Hoffnung, dass dieser Augenblick ohne Stress erträglicher würde. Doch selbst mit sorgfältiger Planung ließ sich Cissys unvermeidlicher Auftritt nicht verhindern. Maylenes Tochter war selbst unter den besten Umständen streitsüchtig. Ihre giftige Haltung Rebekkah gegenüber war ein ständiges Ärgernis für Maylene gewesen, doch niemand hatte Rebekkah erklären wollen, warum die Frau sie so sehr hasste. Sie werde sich schon wieder fangen, hatte Maylene ihr versichert. Aber bisher war das nicht passiert. Im Gegenteil, die Feindseligkeit hatte sich derart gesteigert, dass Rebekkah seit Jahren kein Wort mehr mit Cissy gewechselt hatte. Dass sie am Ende der Totenwache nicht anwesend war, hatte Rebekkah einen willkommenen Aufschub verschafft, aber das hatte Cissy nicht aus Rücksichtnahme getan, sondern nur damit sie als Erste am Grab sein konnte.
    Rebekkah näherte sich dem Grab und schwang die Glocke jetzt kräftiger.
    Cissy heulte noch lauter.
    Eine Stunde. Eine Stunde lang ertrage ich sie, redete sich Rebekkah gut zu. Da sie Maylenes Tochter nicht hinauswerfen konnte, wie sie es am allerliebsten getan hätte, ging sie zur vordersten Reihe und setzte sich auf ihren Platz.
    Ich bin höflich, nahm sie sich vor.
    Ihre Entschlossenheit geriet ins Wanken, als sich Cissy dem inzwischen geschlossenen Sarg näherte.
    Auf Maylenes Sarg gerieten Lilien und Rosen ins Wanken, als Cissy ihn umklammerte und ihre kurzen Fingernägel über das Holz huschten wie Insekten, die vor dem Licht davonlaufen. »Mama, geh nicht!« Cissy schlang die Finger um einen der seitlich angebrachten Sarggriffe, damit niemand sie wegziehen konnte.
    Rebekkah hatte die Knöchel überkreuzt und setzte die Füße nun nebeneinander auf den Boden.
    Cissy stieß einen weiteren Klageschrei aus. Die Frau konnte keinen Sarg sehen, ohne zu heulen wie ein Schlosshund. Ihre Töchter Liz und Teresa standen tatenlos daneben. Die Zwillinge, inzwischen Ende zwanzig und damit nur wenig älter als Rebekkah, waren auch früh zum Grab gekommen, doch sie versuchten gar nicht erst, ihre Mutter zu beruhigen. Sie wussten ebenso gut wie Rebekkah, dass Cissys Auftritt reine Show war.
    Liz flüsterte Teresa etwas zu, aber die hob nur die Schultern. Niemand konnte erwarten, dass sie Cissy davon abbrachten, sich zur Schau zu stellen. Mit manchen

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