Graveminder
dachte sie. Ich weiß, dass du das nicht wirklich bist.
Aber der Körper sah immer noch wie ihre Großmutter aus. Der vertraute scharfe Blick fehlte, das Lächeln war nicht mehr da, aber die Gestalt war immer noch Maylene.
Rebekkah wusste, was sie sagen musste. Das Fläschchen steckte in ihrer Tasche, aber sie konnte es nicht tun. Noch nicht. Nicht vor allen Leuten. Es gab Worte, die sie immer wieder mit Maylene gesprochen hatte, Traditionen, die sie gemeinsam befolgt hatten. Bald.
Rebekkah beugte sich vor, um Maylene auf die Wange zu küssen. »Schlaf, Großmama!«, flüsterte sie. »Schlaf gut, und bleib, wo ich dich hingelegt habe.«
12. Kapitel
Mechanisch tat Rebekkah, was man von ihr erwartete, nahm Beileidsbekundungen entgegen und lauschte Fremden und flüchtigen Bekannten, die sich in Erinnerungen an Maylene ergingen. Sie tat es allein.
Byron, der einen seiner dunklen Anzüge trug, war in den Aufbahrungsraum heruntergekommen. William und er behielten Rebekkah im Auge, und sie wusste, dass sie sie jederzeit retten würden, sobald sie ihnen einen hilfesuchenden Blick zuwarf. Doch stattdessen schüttelte sie kaum merklich den Kopf, als Byron auf sie zukam.
Ich bin Maylenes Enkelin und werde tun, was wir immer gemeinsam getan haben, dachte sie. Zusammen mit ihrer Großmutter hatte sie unzählige Totenwachen und Begräbnisse besucht. Sie nickte höflich und ließ sich gelassen Umarmungen und Armtätscheln gefallen. Sie würde es schaffen. Sie nahm nur an der letzten Stunde der Totenwache teil, aber sie hatte das Gefühl, sie dauere länger als jede andere, an die sie sich erinnerte. Sogar bei Ella war es ihr nicht so lang vorgekommen.
Glücklicherweise waren Cissy und ihre Töchter gegangen, kurz bevor Rebekkah gekommen war. »Von Trauer überwältigt«, hatte William mit stoischer Miene erklärt.
Dann war die Aufbahrung vorüber. William kümmerte sich um die Trauergäste, und Byron trat zu ihr.
»Möchtest du kurz mit ihr allein sein?«, fragte er.
»Nein. Noch nicht.« Rebekkah warf ihm einen Blick zu. »Später. Am Grab.«
»Dann komm!« Geschickt ging Byron einigen Menschen aus dem Weg, die Rebekkah ansprechen wollten, und führte sie wieder in den Privatbereich.
»Ich wäre auch geblieben«, murmelte sie, als er die Tür hinter ihnen schloss.
»Niemand zweifelt an dir«, versicherte er ihr. »Wir haben ein paar Minuten Zeit, bis wir zum Friedhof aufbrechen, und ich dachte, du möchtest vielleicht ein wenig zu Atem kommen.«
Sie folgte ihm in die Küche. Ihr Geschirr stand noch auf dem Tisch. »Danke. Ich weiß, dass ich es ständig sage, aber du bist wirklich netter zu mir, als ich es verdient habe.«
Sie beschäftigte sich damit, ihre Tasse und ihren Teller abzuspülen, damit sie ihn nicht anzusehen brauchte.
»Für mich ist unsere … Freundschaft nicht gestorben«, sagte er, »auch dann nicht, als du beschlossen hast, nicht mehr auf meine Anrufe zu reagieren. Für mich wird sie nie vorbei sein.«
Als sie keine Antwort gab, nahm er ihr die Tasse aus der Hand.
»Bek?«
Sie wandte sich um, und er schloss sie in die Arme.
»Du bist nicht allein. Dad und ich sind beide hier«, erklärte er. »Nicht nur gestern Nacht. Nicht nur heute, sondern so lange, wie du uns brauchst.«
Rebekkah legte ihre Wange an die seine und schloss einen Moment lang die Augen. Es wäre so einfach gewesen, dem Drang nachzugeben, in Byrons Nähe zu bleiben. Zeit ihres Lebens hatte nur er den Wunsch in ihr erweckt, sich irgendwo niederzulassen. Seit ihrem Weggang aus Claysville war sie niemandem begegnet, bei dem sie Verpflichtungen hätte eingehen wollen. Nur bei dir, dachte sie, während sie sich von ihm löste, doch das gab sie nicht zu. Nicht vor ihm. Er gehörte nicht ihr. Nicht wirklich. Das konnte niemals so sein.
»Ich will mich noch frisch machen«, erklärte Rebekkah lächelnd.
Sie spürte seinen Blick, als sie davonging, doch er sagte nichts dazu, als sie flüchtete.
Als sie aus dem Bad zurückkehrte, standen William und Byron da und warteten auf sie.
»Sie wollte keinen Trauerzug. Nur wir begleiten sie. Alle anderen sind schon vorgegangen.« William streckte ihr die Hand entgegen. Darin lag das angelaufene Silberglöckchen, das Maylene immer mit auf den Friedhof genommen hatte.
Rebekkah kam sich töricht vor, weil sie es nicht nehmen wollte. Sie hatte unzählige Male danebengestanden, wenn William Maylene wortlos diese Glocke gereicht hatte. Langsam schloss sie die Hand darum und steckte einen
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