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Graveminder

Graveminder

Titel: Graveminder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Marr
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Menschen ließ sich einfach nicht vernünftig reden, und Cecilia Barrow gehörte ganz eindeutig zu dieser Sorte.
    An Maylenes Sarg legte Pater Ness Cissy einen Arm um die Schultern. Sie schüttelte ihn ab »Zwingen Sie mich nicht, sie zu verlassen!«
    Rebekkah schloss die Augen. Sie musste bleiben, die Worte sprechen, die Traditionen befolgen. Das Bedürfnis danach verdrängte fast alles andere. Selbst wenn Maylene sie es im Lauf der Jahre nicht oft genug hätte schwören lassen, um sie auf diesen Tag vorzubereiten, hätte Rebekkah dennoch einen nagenden Schmerz empfunden, der nicht zu unterdrücken war. Die Tradition, in die sie mithilfe ihrer Großmutter eingeführt worden war, gehörte ebenso zu Beerdigungen wie der Sarg selbst. Bei jeder Bestattung, die Maylene und sie zusammen besucht hatten, hatten sie drei Schlucke aus dem mit Rosen gravierten Fläschchen genommen – nicht mehr und nicht weniger. Jedes Mal hatte Maylene dem Verstorbenen Worte zugeflüstert. Und jedes Mal hatte sie sich geweigert, auch nur eine der Fragen zu beantworten, die Rebekkah ihr gestellt hatte.
    Jetzt war es zu spät.
    Cissys Kreischen übertönte die Pfarrerin, die zu sprechen anhob. Reverend McLendons Stimme war so leise, dass man sie nicht hören konnte. Neben der Pfarrerin versuchte der Geistliche erneut, Cissy zu trösten. Keiner von ihnen kam besonders weit.
    »Zum Teufel damit!«, murmelte Rebekkah. Sie stand auf und trat auf Cissy zu. Am Rand der Grube, in der sie Maylene beisetzen würden, blieb Rebekkah stehen.
    Der Geistliche sah fast so genervt aus, wie sie selbst sich fühlte. Er hatte oft genug mit Cissys Auftritten zu tun gehabt und wusste, dass man rein gar nichts tun konnte, bis jemand energisch einschritt. Auch das hatte Maylene stets übernommen, aber Maylene war tot.
    Rebekkah schlang die Arme um Cissy und zog sie an sich. »Halt den Mund und setz dich auf deinen Hintern!«, flüsterte sie dicht an Cissys Ohr. »Sofort!« Dann ließ sie Cissy los und bot ihr den Arm zum Einhaken. »Ich helfe dir zu deinem Platz«, setzte sie hinzu, dieses Mal in normaler Lautstärke.
    »Nein.« Wütend starrte Cissy auf den Arm, den Rebekkah ihr hinhielt.
    Rebekkah beugte sich wieder zu ihr hinüber. »Nimm meinen Arm und lass dich ohne einen Mucks zu deinem Platz führen, sonst blockiere ich die Vollstreckung von Maylenes Testament so lange, bis deine Töchter als verbitterte alte Schachteln wie du gestorben sind.«
    Cissy hielt sich ein Taschentuch vor den Mund. Sie sah sich um, und ihre Wangen liefen rot an. Für die Trauergäste wirkte es wie Verlegenheit. Doch Rebekkah wusste es besser – sie hatte soeben eine Klapperschlange aufgestört. Und ich werde später dafür bezahlen, dachte sie. Doch endlich ließ Cissy sich zu ihrem Platz führen. Liz’ Miene wirkte erleichtert, doch keiner der Zwillinge blickte Rebekkah direkt an. Teresa nahm Cissys Hand, und Liz legte den Arm um ihre Mutter. Sie kannten die Rollen, die sie bei diesen melodramatischen Auftritten zu spielen hatten.
    Rebekkah kehrte zu ihrem Platz zurück und neigte den Kopf. Auf der anderen Seite des Gangs wahrte Cissy ihr Schweigen, sodass außer den Gebeten des Geistlichen und der Pfarrerin nur das Schluchzen der Trauergäste und das Krächzen von Krähen zu hören waren. Rebekkah rührte sich nicht, weder als Pater Ness zu sprechen aufhörte, noch als der Sarg in die Erde hinabgelassen wurde. Sie regte sich erst, als jemand sanft ihr Handgelenk berührte. »Komm, Rebekkah!«
    Amity, einer der wenigen Menschen in Claysville, zu denen Rebekkah in losem Kontakt stand, schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln. Menschen standen auf und setzten sich in Bewegung. Gesichter, die sie kannte, und solche, die sie bisher nur im Vorbeigehen gesehen hatte, wandten sich ihr mit einem Ausdruck von Anteilnahme, Sympathie und einer gewissen Hoffnung zu, die sich Rebekkah nicht erklären konnte. Sie starrte alle verständnislos an.
    »Komm weg von hier!«, raunte Amity.
    »Ich muss bleiben.« Rebekkah befeuchtete sich die plötzlich trockenen Lippen. »Ich muss allein hier sein.«
    Amity kam näher und umarmte sie. »Dann bis gleich im Haus deiner Großmutter!«
    Rebekkah nickte, und Amity mischte sich unter die Menschenmenge, die den Friedhof verließ. Fremde und Familienangehörige, Freunde und andere gingen am Sarg vorbei und warfen Blumen und Erde in die tiefe Grube. Lilien und Rosen regneten auf Maylenes Sarg hinab.
    »Welche Verschwendung von so viel Schönheit«,

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