Grayday
oder weniger nur Verkauf.
Wunderbarerweise, jedenfalls erschien es ihm so, hatte die Antivirusmannschaft eine offene Stelle für einen Prüfassistenten. Das war zwar nicht die Position eines ausgewachsenen Virusexperten, aber die nächstbeste darunter. Er würde kontrollieren müssen, ob mit dem täglichen Schwung neuer Definitionen das rausgefischt wurde, was rausgefischt werden musste; er würde die Korrekturroutinen testen, die das AV-Team produzierte, um den Schaden zu beheben. Und er würde mit der Sorte Code arbeiten, die er am meisten liebte. Binnen zwei Wochen nach seinem Vorstellungsgespräch hatte er sich von Ram, Shyam, den Samoanern, Hundescheiße, Kalifornien und der TV-Berieselung tagsüber verabschiedet und war in den Staat Washington gezogen.
Am Campustor zeigte er dem Sicherheitsdienst lächelnd seine Ausweiskarte vor, der ihn zu dem gut ausgeschilderten Weg durchwinkte, der zum Michelangelo Building führte. Die AV-Gruppe saß in der obersten Etage von Michelangelo, und er musste seinen Ausweis zweimal durch einen Schlitz ziehen, um Zugang zum Testlabor zu erhalten. Jedes Mal, wenn er den Sicherheitsbereich betrat und verließ, wurde seine Tasche nach Speichermedien kontrolliert. Denn wie auf zahlreichen laminierten Aushängen im Korridor zu lesen war, durfte eine CD, wenn sie ins AV-Labor hineingebracht worden war, nicht wieder nach draußen.
Die Sicherheitsmaßnahmen gefielen Arjun. Es leuchtete ihm ein, dass er seinen Ausweis mit den Codenummern und dem kleinen farbigen Passfoto vorzeigen musste, und er war begeistert von dem Gerücht, dass Virugenix drauf und dran sei, ein Iris-Sichtgerät zu installieren. Biometrie war klasse. Die Sicherheitskontrollen schienen seinen Elitestatus zu unterstreichen, zu bestätigen, dass seine tägliche Arbeit spannend und bedeutsam war. Er stellte sich manchmal Filmhandlungen vor, in denen er (dargestellt von Sha Rukh Khan) gegen die Zeit arbeitete, um bösartige pakistanische Virusautoren auszutricksen, die Leela Zahir als Geisel festhielten. Wenn … ich … bloß … diesen … Verschlüsselungs- … algorithmus … rauskriege … Aber meistens hatte er für Tagträume zu viel zu tun. Von dem Moment an, da er sein Terminal einschaltete, um den ersten Schub neuer Testdateien durchzusehen, bis zu dem Augenblick, da er es am Abend ausschaltete, war er in die Unterwelt bösartiger Codes eingetaucht, als einer der Guten, mit den weißen Hüten, die es sich auf die Fahne geschrieben hatten, dich in deinem digitalen Bett zu beschützen.
Die oberste Etage des Michelangelo Building war nur einer der Knotenpunkte in dem von Virugenix hochfliegend so genannten Globalen Sicherheitsperimeter. Nach der großen Hysterie um E-Mail-Anhänge Ende der neunziger Jahre hatte die Firma beschlossen, ihrer verängstigten Kundschaft einen 24-Stunden-Service anzubieten. Sie eröffnete Satellitenstationen in Japan, Finnland und an der Ostküste, so dass immer, wenn eine neue Bedrohung identifiziert wurde, irgendwo auf der Welt ein Experte wach und bereit war, sie einzuschätzen. Die GSP-Knotenpunkte waren durch zwei völlig voneinander getrennte Netzwerke verbunden, eines für den normalen Firmennachrichtenverkehr, das andere für die Übermittlung von Codemustern und anderem möglicherweise infiziertem Material. Dieses zweite Computernetzwerk kannten die Experten unter dem Namen Petrischale. Hier sahen sie den Dingen beim Wachsen zu.
Im Laufe des Vormittags folgten Arjuns erstem Milchkaffee weitere sieben, die er sich an der funkelnden Kaffeemaschine in der Belegschaftsküche machte. Für die Angestellten gab es auch einen gekühlten Schrank mit Gratismineralwasser, und irgendwann gegen zwölf neigte er dazu, von Kaffee auf Cola umzusteigen. Er hatte seinen Arbeitsplatz, eine graue, zwei mal zwei Meter große Normkabine, mit einem Mix aus Familien- und Filmfotos dekoriert. Priti grinste bei ihrer College-Abschlussfeier. Hrithik Roshan in einem engen T-Shirt. Die Kabine gehörte zu einer ganzen Ansammlung, die an einen Bereich grenzte, der vom übrigen Büro mit durchsichtigen Plexiglaspaneelen abgetrennt war. Dieser Raum enthielt mehrere Regale mit normalen Heim-PCs, eine weiße Wandtafel und drei große Plasmabildschirme. Man brauchte die Erlaubnis von oberster Stelle, um reinzukommen, und die Experten nannten ihn »die heiße Zone«. Die Computer in den Regalen waren der schmutzigste Teil der Petrischale, ein isoliertes Teilnetz, in dem die Viren dazu gebracht wurden, sich zu
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