Grayday
verbreiten. Ein- oder zweimal pro Tag versammelte sich eine schnatternde Forscherschar um die Bildschirme und beobachtete eine digitale Kreatur dabei, wie sie Sektoren einer Festplatte überschrieb oder irgendwohin auszuwandern versuchte. Arjun sah heimlich zu (wofür er den Kopf über die Trennwand seiner Kabine strecken musste wie eine Meerkatze), wenn Streitigkeiten ausbrachen, Theorien dargelegt und in leidenschaftlicher Verteidigung und Widerlegung trockene Markierstifte geschwenkt wurden, alles in stummem Gebärdenspiel auf der anderen Seite der Glaswand. Er wünschte, er könnte an diesen Gesprächen teilnehmen, doch unter der lässigen Oberfläche der AV-Gruppe herrschte eine klare Hierarchie. Er besaß weder die Erlaubnis noch den Status, sich zu beteiligen, wenn die Ghostbusters an der Arbeit waren.
Dieser Kinospitzname entstammte einem Wired- Artikel aus dem Jahr 1998. Unter der Überschrift »Who Ya Gonna Call?« hatte die Zeitschrift ein doppelseitiges Foto gebracht, das, aus der Froschperspektive aufgenommen, das Virugenix-Antivirus-Leitungsteam mit verschränkten Armen, steinernen Gesichtern mit Oakley-Panoramasonnenbrillen und grauen Quasi-Startrek-Overalls zeigte. Neidisch erkannten ihre Kollegen an, dass das Foto sie geradezu kaltblütig erscheinen ließ. Oder wenn nicht kaltblütig, dann zumindest praktisch vergesellschaftet. Der Artikel schilderte Virugenix als neue wirtschaftliche Erfolgsstory und die Angestellten als heldenhafte Beschützer, die die Mauern des Internets gegen die dunklen Virenhorden verteidigten. Natürlich gefiel das dem Team, es ließ »Ghostbusters«-T-Shirts, Sweatshirts und Mützen für sich herstellen, stolzierte damit herum und spielte sich im Allgemeinen gegenüber allen anderen in der Firma als was ganz Besonderes auf.
Als Arjun dazukam, trugen die Ghostbusters immer noch die Nase hoch, obwohl viele von denen, die auf dem Foto zu sehen waren, inzwischen woanders arbeiteten. Im Michelangelo zählten sie fünfzehn, allesamt Männer, denen eine gleiche Zahl Helfer zur Seite stand. Der älteste war der Teamchef Darryl Grant, von dem Arjun meinte, er habe die Fünfzig überschritten. »Onkel« Darryl hatte einen buschigen, graumelierten Bart und war der Einzige, der sein eigenes Büro hatte, einen Arbeitsraum, der mit Papierabfall, technischen Handbüchern und seiner umfangreichen Sammlung von NASA-Erinnerungsstücken voll gestopft war. Im Innern dieser kokonartigen Box machte er mit dem Mund Zischgeräusche vor einem Space-Shuttle-Modell im Maßstab 1:288, zerlegte Code-Muster und versuchte so weit wie möglich, den persönlichen Kontakt mit seinen Untergebenen zu meiden. Der jüngste Ghostbuster war der einundzwanzigjährige Clay. Für Arjun, der sich mit der Unternehmenskultur erst noch anfreunden musste, war dieser Junge aus der Marin County ein Gegenstand besonderen Erstaunens. Während Arjun gern seinen blauen Blazer zur Arbeit anzog, latschte Clay im Büro in kurzen Hosen und Birkenstock-Sandalen herum; die blonden Rastalocken hatte er wie ein hinduistischer Bettelmönch zu einer seltsamen Haar-Ananas auf seinem Scheitel hochgebunden. Soweit Arjun feststellen konnte, war Clay weder religiös noch besonders asketisch, außer wenn es um Toxine ging, die offenbar überall in ihrem Arbeitsbereich zu finden waren. An Tagen, in denen er den Toxingehalt besonders hoch einschätzte, trug er eine Gesichtsmaske und Gummihandschuhe. Er war offenbar Darryls spezieller Schützling, und die beiden waren die Experten, die man am häufigsten in den blauen wasserdichten Ghostbusters-Jacken sehen konnte, die das neuste Zeichen der Bandenmitgliedschaft waren.
Clay kam gelegentlich zum Quatschen zu Arjun herüber, beugte sich über die Kabinenwand und erzählte Geschichten von einem Urlaub, den er in Goa verbracht hatte, wo er am Strand in Anjuna einem berühmten geistigen Führer begegnet war und einen Darmparasiten mit einem ungewöhnlichen und pittoresken Lebensrhythmus beherbergt hatte. Clay glitt dann gewöhnlich in Erinnerungen an Inge ab, eine Dänin, der er in einem Ashtanga-Yoga-Ashram begegnet war. Manchmal, während er mit einem sterilisierten Strohhalm eiskalte Fruchtshakes trank, erzählte er von seinem heroischen Kampf gegen einen Typen namens »Ohrpopler«, der ihn mit scharfen Instrumenten attackierte und nur gegen Geld das Weite suchte.
Von Clay abgesehen waren die meisten aus dem AV-Team keine besonders geselligen Geschöpfe. Sie erledigten ihre Arbeit und ließen
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