hinunterblickte, eine Unterwelt, die von Gespenstern in Gummistiefeln und Overalls bevölkert war. Nach drei Wochen musste er seinem Vorarbeiter zugeben, dass er mit dem Projekt fertig sei. Eine Woche darauf war er wieder an der Westküste, auf der Bank.
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[email protected] Bezug: RE: kurze hosen?
hallo aamir vielen dank für deine nachricht wie geht es dir ja ich bin inzwischen ganz amerikanisch esse sogar rind- und schweinefleischerzeugnisse das bleibt bitte unter uns jemand gab einfach schinken-cheeseburger aus so fängt es an alles okay hier ja viele mädchen tragen kurze hosen ja das ist schön nein habe noch nicht mit vielen gesprochen oder p anderson oder bv slayer gesehen hab zu tun und muss los – arjunm
Seinen ersten Jahrestag in den USA erlebte er in einem baufälligen Haus in Daly City, das er sich mit zwei ununterscheidbaren tamilischen Java-Programmierern teilte, denen er insgeheim die Spitznamen Ram und Shyam gegeben hatte. Die Gegend war möglicherweise noch einkommensschwächer als die davor. Das Grundstück grenzte hinten an eine elektrische Umschaltstation mit einem riesigen brummenden Transformator. Seine Nachbarn waren ein Klan hünenhafter Samoaner, die über und über mit blauschwarzen Tätowierungen bedeckt waren und ihre Tage damit verbrachten, ihre Autos zu reparieren und laute, zornige Auseinandersetzungen zu führen. Die Samoaner hatten viele hünenhafte samoanische Freunde, die Besitzer einer unbestimmten Zahl hünenhafter Hunde waren, die sabbernd auf dem Bürgersteig vor seiner Tür in einem Durcheinander aus öligen Motorteilen, leeren Magnumbierflaschen und Scheiße herumlagen.
Keiner legte sich je mit ihm an, nicht einmal die Hunde, aber seine überreizte Phantasie malte sich unvorstellbare Gewaltszenen aus, wie WWF-Wrestling, das auf der finsteren Seite des National Geographic Channel übertragen wird. Er schlief nicht gut. Er hatte Ekzeme an beiden Händen. Er kannte jede Programmzeile von The Young and the Restless und äußerte sich manchmal bissig über das Geschäftsmodell seines Arbeitgebers. Databodies verlangte von den Firmen, für die er arbeitete, doppelt, ja dreimal so viel, wie sie ihm zahlten, und zogen ihm von seinem Gehaltsscheck trotzdem noch Geld für Miete, Gerichts- und Verwaltungsgebühren ab. Er hatte kein Geld verdient, sich absolut nichts erworben, seit er nach Amerika gekommen war, bis auf ein neues und härteres Bild von der Welt.
Und so sehen wir den Wanderer wieder zu dem Laden trotten. Instantkaffee. Frühstücksflocken. In Folie eingeschweißtes Brot, zehn Prozent Styropor, neunzig Prozent Luft. Wir sehen den Mann am Rand der breiten Straße daherstapfen, einen Mann, der den Verdacht hat, dass entweder er schrumpft oder vielmehr die Landschaft sich vor ihm ausdehnt, sich vor seinen müden Füßen immer weiter streckt. Von den zwölf Monaten hat er nur drei und einen halben gearbeitet. Er hatte Kredit, aber den hat man ihm entzogen. Er weiß, was vor ihm liegt, die erhabene Beweglichkeit derer, die sich fortbewegen, ohne je den Boden zu berühren. Er hat flüchtig gesehen, was dahinter liegt, die andere Beweglichkeit, die erzwungene Bewegung der Einkaufswagenschieber, der Einsammler von Pappkartons. In Indien können sich die Obdachlosen wenigstens eine Weile hinlegen, ehe sie weitergescheucht werden.
Z u Ehren der Ballonszene hatten die Partyausrichter das Thema »Schweben« vorgeschlagen. Tausende von silbernen Heliumblasen schwebten in Netzen über den Köpfen der Gäste. Kellner, die mit Silberlame als »Luftgeister« verkleidet waren, servierten Drinks und chaat. Der DJ mixte die fälligen Songs (Up up and away, Sommerwind) in Ausschnitte aus dem Soundtrack des Films, was von der Menge der Mumbai-Filmleute völlig ignoriert wurde. Sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, Verbindungen zu knüpfen, als dass sie sich mit einer gesellschaftlich so unproduktiven Tätigkeit wie Tanzen abgegeben hätten.
Leela Zahir erschien, wie man bemerkte, am Arm von Naveed Iqbal. Der dicke Produzent winkte und vollführte namaste zu seinen Verwandten und schien die wütenden Blicke des Thakkar-Lagers gar nicht zu beachten. Kiss Me, Tickle Me war Manoj Thakkars Film. Von Leela meinte man, zumindest an diesem Abend, sie werde Thakkars Star sein. Dennoch wollte niemand einen Streit mit Iqbal vom Zaun brechen, nicht bei den Freunden, die er hatte. Leelas zauberhafte Mutter Fazia folgte hinter ihnen in Begleitung des