Grayday
dermaßen von der Rolle. Er schien sich ernsthaft einzubilden, dass er die Firma überreden könne, ihn wieder einzustellen.
»Du wirst mir helfen, nicht wahr?«, fragte er.
»Wobei helfen?«
»Du kennst doch sicher Leute. Du könntest dich bei ihnen für mich einsetzen, ihnen sagen, dass ich nicht zurück kann.«
»Arjun, derartige Entscheidungen werden viele Etagen über mir gefällt. Ich bin nichts als eine Codiererin. Das weißt du auch. Mir ist klar, dass es schwierig ist, aber du wirst schon einen anderen Job finden.«
»Du hörst mir gar nicht zu! Ich kann nicht! Du bist meine letzte Hoffnung. Jetzt heißt es, du und ich gegen den Rest der Welt.«
Chris sah ihn entsetzt an. Du und ich gegen den Rest der Welt? Aus welchem Film war das denn? »Arjun, ich bin deine Freundin, okay? Aber es gibt kein du und ich. Ich bin mit Nic zusammen. Das verstehst du doch, oder?«
»Aber du bist zu mir in die Wohnung gekommen. Wir – schließlich hast du verstanden und bist gekommen.« Er sah sie an, fast beschwörend. Es war ein schreckliches Gefühl, das auszusprechen, was sie als Nächstes sagen musste.
»Arjun, ich weiß, das, was zwischen uns neulich Nacht passiert ist, könnte dich auf diesen Gedanken bringen, aber – es war ein Fehler. Es war meine Schuld. Ich war high, und – na ja, ich hätte es nicht tun sollen. Es war unfair. Ich weiß, ich habe dich dazu verführt.«
Er starrte sie nur an. Ausdruckslos. Verständnislos.
»Ich bin gemein.«
»Du wirst mir aber trotzdem helfen, oder?«
»Wobei helfen? Da kann man nichts machen. Ich kann sie nicht zwingen, dir deinen Job zurückzugeben.«
»Aber du musst«, sagte er. »Es heißt jetzt ich und du. Wir sind zusammen. So soll es sein.«
Wenn man Codes schreibt, hat man alles unter Kontrolle. Man konstruiert eine Welt aus Grundprinzipien, stellt die Axiome auf, die sie regieren, setzt die Mechanismen von Entstehung und Verfall in Bewegung. Selbst in einem von einem Fremden entworfenen Computerambiente kann man sich nach einer Weile zurechtfinden, weil man es mit einem System zu tun hat, das nach potentiell erkennbaren Regeln funktioniert. So gesehen, hat nur die reale Welt die paradoxe Eigenschaft, dass man sich in ihr nicht sicher genug fühlt. Dabei sollte auch und gerade die Realität durchsichtig und logisch sein. Man sollte die Abdeckung abschrauben und in die Schaltung im Inneren hineinsehen können.
»Chris, warum hast du mit mir geschlafen?«
»Ich weiß es nicht, Arjun. Ich hab’s einfach getan. Es war eine schlechte Idee.«
»Das heißt, du liebst mich nicht.«
»Arjun …«
In einer Welt der Illusion muss man Fragen stellen. Man muss systematisch Zweifel äußern. Andere Leute handeln vielleicht real. Sie verhalten sich möglicherweise, als würden sie wie man selber durch innere Prozesse bewegt. Aber man weiß nie. Manche von ihnen sind nur Maschinen.
»Du solltest mich lieben. Es sollte heißen, ich und du.«
»Arjun, tut mir Leid, aber ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Nichts sollte so oder so sein. Die Dinge sind, wie sie sind. Dies hier ist einfach so, wie es ist.«
Einfach so, wie es ist? Nichts ist einfach so, wie es ist. Hinter allem gibt es Erklärungen. Hinter den Dingen gibt es die Ideen von Dingen, und auf die kommt es an. Er sah sie an. Einfach so, wie es ist? Kaputter Automat.
»Ich weiß, was du bist«, sagte er zu ihr. Dann stieg er aus dem Wagen und lief in Richtung Hauptstraße. In der Ferne sausten Fahrzeuge über den Highway. Chris schrie ihm etwas hinterher, rief seinen Namen.
Seine Schritte knirschten über Kies. Es fühlte sich an wie der Boden eines Spielzeugkerkers, rutschig, voller Fallen. Alles war falsch. Sein Leben lief falsch. Er brauchte einen Ort, wo man sicher stehen konnte.
Was ist sicherer als Zahlen?
Fünfzehn Segel sieht man auf dem See.
Zwölf Wagen parken auf dem Platz am Jachthafen.
Acht Fenster im Erdgeschoss. Acht weitere darüber.
Zahlen waren die Wahrheit der Welt, Zahlen, die in Materie gehüllt waren. Finde Sicherheit, indem du die Dinge zählst. In Dezimalen. In Binär-, in Hexadezimalzahlen. Wie viele Sechzehnereinheiten Bäume standen in seinem Blickfeld? Wie viele rund um den See? Ströme von Zahlen drangen auf ihn ein, zu schnell, als dass er mit ihnen fertig werden konnte. Aber er musste es versuchen.
Er trottete an einem Straßenrand nach Hause. Als er heil in seiner Wohnung war, verschloss er die Tür und setzte sich auf sein Bett, die Hände im Schoß. Bewegung war
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