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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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albtraumhaften Gesellschaft verflochten. Warum verstand das niemand? Sie ergaben keinen Sinn. Schließlich bekam er seinen eigenen Computer und wurde zu einem Computereremiten, der sich dorthin flüchtete, wo die Kommunikation durch klar formulierte Regeln beherrscht wurde. Logiktüren. Wahrheitstafeln. Die Welt der Menschen konnte zum Teufel gehen. Er verschloss seine Tür vor ihr.
    Sein Leben hätte sich in alle möglichen verschiedenen Richtungen weiterentwickeln können, hätte er nicht eines Abends eine Floppydisk im Laufwerk A seines PCs stecken lassen. Als er ihn am nächsten Morgen einschaltete, wurde sein Bildschirm plötzlich schwarz. Er drückte auf Tasten. Keine Reaktion. Er startete den Computer neu, der sehr behäbig lief. Er startete ihn noch mal. Und noch mal. Schließlich erschien nach einem endlosen Knirschen und Gestotter aus dem Inneren der Kiste eine Mitteilung vor seinen Augen.

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    Er fuhr das Ding unentwegt runter und startete es neu, aber das Problem wurde nur immer schlimmer. Sein geliebter Computer hatte sich in einen Haufen Schrott verwandelt. Um ihn wieder in Gang zu bringen, musste er seine Festplatte neu formatieren, was hieß, dass er seine gesamten Daten verlor. Alles. Monate Arbeit waren durch diese katastrophale Heimsuchung gelöscht. Er machte sich auf die Suche nach dem Verursacher und fand heraus, dass ihn ein Ding namens Karnevalvirus befallen hatte, eine Reihe von Chiffren, die sich auf einer harmlosen Floppydisk versteckt und seinen Computer dazu benutzt hatten, Kopien von sich herzustellen. Jeder Neustart hatte eine neue Generation entstehen lassen. Leben.
    Arjun stellte bald fest, dass Informationen über Computerviren nur schwer zu erhalten waren. Auch nur eine vage Vorstellung zu gewinnen, woher sie kamen, war nicht möglich, wenn man keine eigene Internetverbindung hatte, und die hatte in Indien damals fast niemand. Nur weil er ausdauernd Platten und Zeitschriften anforderte und gelegentlich tödlich teure Anrufe bei ausländischen Informationszentren tätigte, bekam Arjun ein paar Codemuster in die Hände, die er wie heilige Texte studierte. In der Ungestörtheit seines Zimmers schuf er einige einfache Viren, wobei er darauf achtete, Backups von seinen Daten aufzubewahren, falls (wie es ein- oder zweimal geschah) er versehentlich seinen eigenen Computer infizierte. Er brachte sich Programmiersprachen bei und tat sich, als er auf die Zwanzig zuging, so allmählich in allen möglichen konventionelleren Programmieraufgaben hervor. Seine Eltern, denen sein Einsiedlerleben, seine schlechte Körperhaltung, seine Abneigung, Sport zu treiben oder Freunde zum Tee mit nach Hause zu bringen, Sorgen bereitete, begannen nach und nach etwas Positives in seiner Besessenheit zu sehen. Computer waren die kommende Sache, erinnerte Mr. Mehta seine Kollegen in der Firma immer wieder. Aus meinem Sohn wird ein Ingenieur.
    Aber erst als er aufs College ging und endlich echten Zugang zur Datenfülle des Netzes hatte, war er wirklich imstande, seine Neugier zu befriedigen. Er begann sich in den Untergrund einzugraben, indem er sich in Chatrooms und IRC-Kanäle einloggte und voller Erregung an den Prahlhälsen und Strebern, den Schwadroneuren, Fanatikern und Paranoikern vorbeinavigierte, die diese Grauzone der Computerkultur heimsuchten.

    Verpiss dich du lahmarsch, komm nicht angejammert, wenns deine festplatte löscht, ich hab das ding grade eben in die welt gesetzt. Na auf jeden fall viel spaß mit d100ds, bis zu meiner nächsten veröffentlichung …

    Das war so der vorherrschende Stil. Wenn einer Kenntnisse hatte, trug er sie arrogant zur Schau. Er duckte die Möchtegerns und Blödiane wie ein schneidiger Musketier, ein Programmierdandy. Arjun war schüchtern. Selbst online, hinter der Anonymität eines Decknamens verborgen, mangelte es ihm an Selbstvertrauen. Lange Zeit hatte er nur auf der Lauer gelegen, zugeschaut und zugehört und Informationen über Sicherheitsmängel, Anfälligkeiten, Techniken, Großtaten gesammelt. Aber im wahren Untergrund, dem unauffindbaren Untergrund nur vorübergehend existierender Privatkanäle und Downloadsites mit wechselnden Adressen, war Austausch alles. Wenn man nichts gab, bekam man nichts.
    Und so begann, ängstlich und mit dem Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, badmAsh auf den Virentauschseiten mit dem Angebot zu erscheinen, Code gegen Code zu tauschen. Zu seiner Freude und Überraschung stellte er fest, dass viele

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