Grayday
nicht richtig angebissen hatten. Blieben also noch zwei mögliche Aufträge. Zwei Chancen.
Gabriella speicherte gerade die Nummer von irgendjemandem in ihr Handy. Als sie merkte, dass er sie beobachtete, drehte sie das Display ein wenig weg.
»Schätzchen, hast du noch mal über Thailand nachgedacht?«
»Nicht so richtig, Guy.« Sie klappte das Handy zu und wandte sich ab, um aus dem Fenster zu sehen.
Sie war sich nicht sicher, wie lange sie ihn noch ertragen könnte. Als sie nach London gekommen war, war sie ein Opfer derselben blinden Hektik gewesen, die zum Tod ihrer Schwester geführt hatte. Es gab einen Freund, eine Zeitschrift und Partys. Ihr Vater machte sie ausfindig und schickte Geld. Sie probierte Verschiedenes, arbeitete in einer Galerie und studierte ein Semester Jura. Die ganze Zeit über spürte sie in ihrem Innern das dringende Verlangen wegzulaufen und wurde sich immer sicherer, dass die einzige Möglichkeit, am Leben zu bleiben, die wäre, zur Ruhe zu kommen, einen Anker auszuwerfen.
Dann bot ihr jemand den Job an, die Zeitschriftenpresse auf einen Film einzustimmen. Er ließ sich wahrscheinlich deshalb so gut an, weil sie sich so wenig aus dem Ganzen machte, weder aus der glamourösen Aura der Branche noch aus dem schalen Reiz des Films selbst. Aber indem sie Storys unterbrachte und das junge Schauspielerensemble zu Interviews über Gangster und das Britischsein und darüber, wie es ist, mit der berühmten Hauptdarstellerin zusammenzuarbeiten, begleitete, fand sie, wenn auch keinen Beruf, so doch wenigstens eine Ablenkung. Es gab im Zentrum eines Medienbetriebs ein Kalkül, eine Werteinschätzung: Was kannst du für uns tun, was willst du dafür haben? Das war ehrlich. Hier lagen menschliche Beziehungen offen zutage: Du standest entweder auf der Liste, oder dein Name wurde gestrichen, je nachdem, was du zu bieten hattest. Sie arbeitete hart, weil die Arbeit die Erinnerung an ihre Schwester verdrängte, und die Firma bot ihr einen Vertrag an.
Den Job hatte sie ein Jahr lang gemacht und es genossen, ihr eigenes Geld zu verdienen, richtiges Geld anstelle des unerschöpflichen Spielgelds, das Caroline umgebracht hatte. Dann begegnete sie Guy. Er kam auf einer langweiligen Party auf sie zu und begann sofort, vertraute Sprüche zu klopfen: Ich habe Sie von drüben gesehen, was für eine Schönheit, haben einfach alle gesagt, so ein Zufall. Was sie erstaunte, war seine Unverschämtheit; er vermittelte den Eindruck, die ganze Welt wäre für ihn reserviert. Im Gegensatz zu vergleichbaren Männern hatte sein überbordendes Selbstvertrauen aber nichts Aufgesetztes an sich. Er war, was das anging, unschuldig. Das Leben war ihm immer gefällig gewesen, hatte ihm immer gegeben, was er verlangt hatte.
Eine Ablehnung ließ er einfach nicht zu, und so willigte sie ein, sich von ihm ausführen zu lassen, und entfesselte damit einen Sturm von Drinks und Abendessen, ein Bombardement von Blumensträußen. Binnen zwei Wochen sah sie sich mit dem Unvermeidlichen konfrontiert: einem Sofa und einem Dimmer und keinen guten Argumenten dagegen, sich von ihm ausziehen zu lassen. Er machte nichts Verrücktes oder Ungehöriges und wirkte hinterher so glücklich, dass es sie auch glücklich und zufrieden machte; sie fühlte sich begehrt, auserwählt. Schon bald lehnte sie andere Rendezvous ab, um mit ihm zusammen in seinem neuen Apartment zu bleiben. Sie sahen sich DVDs an und schlemmten Eiscreme. Alle zwanzig Minuten stand er auf, um die Aussicht auf den Fluss zu genießen. Er redete ununterbrochen über die Zukunft von diesem oder jenem, die neueste, die nächste Mode, die verdammte Überlegenheit. Er hatte immer einen Stapel Männermagazine und ein neues technisches Spielzeug, dessen Gebrauchsanweisung er sich zu enträtseln bemühte. Er war, so fand sie, auf seine britische Art recht nett.
Obwohl er Rockstars und Anarchisten verehrte, hatte Guy nichts Selbstzerstörerisches an sich. Er wollte die Welt nicht verändern, sondern nur ganz oben stehen, während sie sich auf ihrem vorherbestimmten Weg weiterbewegte. Und auch Gaby hatte nie viel Sinn in der Rebellion gesehen (alles blieb, wie es war, ganz egal, was man unternahm), aber selbst sie verwirrte die unbewusst rücksichtslose Art, wie er sich auf die Poleposition im Leben drängte. Ohne jede sichtliche Mühe sorgte er stets dafür, dass er der Erste in der Schlange war. Er war das genaue Gegenteil von Caroline, sein Anspruch bereitete ihm offenbar kein
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