Grayday
Gabriella in die Ankunftshalle in Inverness schlenderte, hatte sie ihn wie immer bereits vergessen. Ein Bote nahm sie in Empfang, ein geschniegelter Glasgower Filmbursche, Haargel und Schlabberjeansstoff von Kopf bis zu den Füßen, der Gummi kaute und eine Lulle rauchte, während er sich im Spiegel eines der Duty-Free-Shops in Augenschein nahm. Er warf ihre Reisetasche auf den Rücksitz des Minivans und sagte ihr in einem Ton, der offensichtlich sein Anmachton war, sie sollte Rob D. zu ihm sagen. Unterwegs auf der A82 hielt er ihren Brüsten einen von Prominentennamen starrenden Monolog, und sie blickte aus dem Fenster auf den Fels, den gelben Stechginster und das funkelnde Wasser des Loch Ness. Nach Ansicht ihres Begleiters war die ganze Produktion ein einziges Durcheinander, die Pakis verstanden kein Gälisch und wussten nie, wann gedreht wurde, und jetzt, wo diese Reporter überall herumrannten, wäre er überhaupt nicht erstaunt, wenn … Als seine Jeremiaden zur Neige gingen, verstummte er und spielte House-Music auf dem CD-Player. Endlich konnte Gabriella einen Blick auf die Notizen werfen, die man ihr gegeben hatte.
Sie übersetzten den Titel des Films mit Tender Tough, wodurch er sich anhörte, als ginge es um Fleisch. Die Handlung drehte sich um einen enttäuschten Polizisten, der, nachdem seine Familie bei einem Lebensmittelvergiftungs-Skandal gestorben ist, zum Gangster wird, dann aber von einer jungen Tänzerin gerettet wird, die ihm den Weg zu Frieden und Rechtschaffenheit weist, ehe sie selbst in einer vermasselten Schießerei tragisch zu Tode kommt. Die Stars waren ein Typ namens Rajiv Rana und diejenige, um die es bei dem ganzen Ärger ging, die Heldin, Leela Zahir. Auf seinem Agenturfoto trug Rana ein weißes Muscleshirt und sprang durch digital stark vergrößerte Flammen. Leela Zahir dagegen trug einen hellblauen Trainingsanzug und spähte hinter einem Baum hervor. Die Werbematerialien enthielten ihre Geburtsdaten und Sternzeichen. Rana war Ende dreißig. Leela Zahir war genau einundzwanzig.
Als Dan Bridgeman Gaby wegen der Reise angerufen hatte, hatte er ihr das Ganze als einen miesen Job dargestellt, als einen Gefallen, den sie der Firma erweisen würde. Eine Spezialität von Bridgeman & Hart war, für ausländische Crews beim Drehen in England die PR abzuwickeln. Normalerweise handelte es sich um Amerikaner oder Franzosen, gelegentlich auch um Crews aus anderen Teilen Europas. Eine Anfrage von einem indischen Produzenten war eine Neuheit. Niemand wusste so recht, was zu tun war. Schließlich hatten die Inder, worauf Phoebe Hart beim Lunch hinwies, ihre eigenen Medien, nicht wahr? Mainstream-Filmleute kannten die wesentlichen Elemente von »Bollywood«: Balletttänzerinnen und Chiffonsaris. Sie wussten auch, dass Inder die Dinge auf ihre Art angingen, ihre eigenen Reklame-, Marketing- und Verleih-Netzwerke hatten und man sich ihretwegen eigentlich keine Sorgen zu machen brauchte. Aber irgendeine schräge Geschichte, die auf keiner Filmseite zu finden war, war diesmal um ihre Hauptdarstellerin ins Rollen gekommen. Die Filmcrew wurde von Anfragen aus allen Mediensparten bedrängt. Da lauerte noch irgendeine nicht näher bezeichnete Komplikation, aber alles in allem schien es sich um etwas zu handeln, wobei B&H behilflich sein konnte. Sie brauchten jemanden als Feuerlöscher. Gaby hatte im Moment keine wichtige Aufgabe, daher hatte die Firma sie ausgesucht.
Abends um acht war die Sonne des nördlichen Sommers noch so hell, als wäre es Nachmittag. Die Berge änderten ihre Farbe, wenn Wolken darüber hinwegzogen, wurden abwechselnd purpurrot, grün und braun. Sie waren nahe der Brücke, die das Festland mit Skye verbindet, an die Westküste gelangt! Eine enge Straße schlängelte sich zwischen einem Kliff aus nacktem Granit, das mit Maschendraht gesichert war, und dem Kiesufer des Loch Lone dahin, dessen unruhige Wasserfläche wie ein riesiges zerkratztes Stahlblech aussah. Rob D. steuerte den Minivan durch die steinernen Torpfosten des Clansman’s Lodge Hotels. Misstrauische Wachtmeister beäugten sie. Ein Übertragungswagen und einige Mietautos standen auf dem Rasenstreifen, und ein paar vereinzelte gelangweilte Journalisten rauchten Zigaretten, telefonierten, aßen Sandwiches und pinkelten gegen die Stämme der Nadelbäume in der Schonung, die sich bis an die Grenze des Hotelgrundstücks erstreckte.
Die Hotelzufahrt, die oberhalb des Wassers stetig aufwärts führte, verlief etwa eine halbe
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