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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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Meile in einem sanften Bogen um das Seeufer herum, bis das Gebäude selbst in Sicht kam, ein nüchternes, zweistöckiges Herrenhaus mit weiß getünchten Mauern und steilen grauen Schieferdächern inmitten einer weiten unberührten Rasenfläche. Das Haus war weder hässlich noch schön, ein sachlicher Bau, dessen Architektur christliche Bescheidenheit und das Bedürfnis, sich gegen Winterwinde abzuschotten, verriet. In der Auffahrt lud eine Gruppe Arbeiter Klappstühle und -tische auf zwei große Catering-Lkw, die vom Wind durchgerüttelt wurden. Rob D. parkte den Van vor einer Glasveranda und teilte ihr, als er ihre Tasche vom Rücksitz zog, als wäre dies eine wichtige und möglicherweise sogar geheime Information, seine Zimmernummer mit. Sie riet ihm, sich doch selber einen runterzuholen. »Miststück«, zischte er leise vor sich hin.
    Das Äußere des Hotels war zwar sachlich, aber die Eingangshalle (und, wie Gaby später herausfand, die Bar, das Restaurant und das Billardzimmer ebenso) war mit grellem, grün-rot kariertem Teppich ausgelegt und mit einem viktorianischen Mischmasch aus Hirschgeweihen, Dolchen, rostigen Flinten, Zinngeschirren, Fahnen, Kisten mit Angelfliegen und Golfbällen, Stichen von weinenden Schäfern und Schlossruinen, Sporttrophäen, durchgesessenen Möbeln und, neben der Treppe, einer dubiosen Ritterrüstung voll gestopft. An der Rezeption saß ein mürrisch wirkender Angestellter, und ein Gestell mit Broschüren lud den Gast dazu ein, die echt schottische Innereienküche zu probieren, eine Wollspinnerei zu besuchen und das ewige Geheimnis der Pikten zu lüften. Während der Typ an der Rezeption ihren Namen in einem in Leder gebundenen Hauptbuch heraussuchte, erschien ein verstört dreinblickender Inder und stellte sich als der Aufnahmeleiter Rakesh vor.
    »Sind sie noch draußen?«, fragte er.
    »Die Journalisten? Ja.«
    »Wir haben ein Problem«, sagte er mit dem traurigen Gesichtsausdruck eines Diplomaten, der seinem Premierminister mitteilt, dass ein Krieg unvermeidbar ist. »Es ist äußerst heikel.«
    »Was denn für ein Problem?«, fragte Gaby. Rakesh warf dem Rezeptionisten einen nervösen Blick zu, der sich keinerlei Mühe gab, sein Interesse an ihrer Unterhaltung zu verbergen.
    »Kommen Sie in einer halben Stunde ins Zimmer von Mr. Prasad. Wir werden Ihnen alles erklären.«

    Rocky Prasad war jünger, als sie erwartet hatte. Er saß am Fenster und betrachtete nachdenklich den Sonnenuntergang. Sein glattes, rundes Gesicht wirkte wie das eines Schuljungen, der vor der Pause noch eine weitere Stunde Mathe hinter sich bringen muss. Viel älter, entschied Gaby, als fünfundzwanzig konnte er nicht sein. Sein adrettes weißes Polohemd und die gebügelten Jeans ließen ihn noch jünger erscheinen, und sie musste sich ins Bewusstsein bringen, dass dieser Mann bereits drei Spielfilme gedreht hatte und (jedenfalls behaupteten das die Zeitungsausschnitte, die an Bridgeman & Hart gefaxt worden waren) die große Hoffnung des indischen Kommerzkinos war. Während des Treffens sagte er fast nichts und flüsterte nur dann und wann mit einem anderen jungen Mann mit frischem Gesicht, dessen flaumiger Schnurrbart und verschwörerisches Herumgehampele den Schuljungeneindruck noch verstärkten.
    Das Wort führte der Produzent, Naveed Iqbal. Der beleibte Mann in den Fünfzigern war der Einzige der in Prasads Hotelzimmer versammelten Gruppe, der (halb)traditionell indisch gekleidet war: die langen Schöße seiner Baumwoll- kurta hingen unpassenderweise unter einem zitronengelben ärmellosen Pringle-Golfpullover heraus. Er hatte das Aussehen eines Mannes, der vor kurzem mit Nahrung versorgt worden war und es bald wieder sein würde. Von seiner afroartigen grauen Drahthaarmähne bis zu den dunklen Hautsäcken unter seinen Augen stieß Gaby alles an ihm ab, ein Gefühl, das noch gesteigert wurde durch die unverstellte Lüsternheit, mit der er sie betrachtete, als sie sich setzte. Beim Sprechen rieb er sich die Hände, als müssten sie unbedingt beschäftigt bleiben, um sie am unwillkürlichen Grapschen oder Kneifen zu hindern.
    »Gibt es bei Ihnen in London auch Mücken, Miss Caro? Oder nur in Ihren nördlichen Gegenden?«
    »Mücken? Sie meinen die Insekten?«
    »Ja. Stechende Insekten. Sehr gefährlicher Stich, Miss Caro. Weiß Gott, imstande, Schauspielerin tagelang aus dem Verkehr zu ziehen.«
    »Nein, die gibt’s hier nicht. Zumindest glaube ich es nicht. Ich bin da nicht auf dem

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