Grayday
durch und schaltete ihren Laptop aus. Bevor sie sich die Zähne putzte, rauchte sie am Fenster noch eine Zigarette und blickte über den See auf Dimross Castle, das »Fort« von Tender Tough. Bunte Scheinwerfer waren strategisch um dessen Sockel verteilt und tauchten die Mauern in dramatisches Lila und Blau. Bei Nacht waren die Hügel um Loch Lone nicht mehr als ein dichterer Streifen Dunkelheit, und Dimross hob sich dagegen ab wie etwas Übernatürliches, ein Märchenschloss, das auf die normale Nacht kopiert war.
Sie zitterte ein wenig, als sie zu Bett ging, und zog sich die Chintzdecken bis ans Kinn. Dennoch war es eine Erleichterung, von London und dem ganzen Wirrwarr ihres Lebens weg zu sein. Und von Guy. Vor allem von Guy. Von dem großen Doppelbett in einem Herrenhaus an einem See in Schottland aus betrachtet, erschien ihr Guy Swift mehr oder weniger bedeutungslos. Sie schlief ein, während sie halbherzig an dem Gespräch herumformulierte, das sie demnächst mit ihm würde führen müssen. Sie hoffte, er werde es ihr nicht allzu schwer machen.
Einige Zeit später weckte sie ein Klopfen an der Tür. Sie stand auf, um zu öffnen, aber etwas hielt sie zurück, etwas am Ton des Klopfens: eine Heimlichkeit, eine versteckte Andeutung. Ihr kam der sicherlich unlogische Gedanke, dass es Iqbal sei, und wenn er einmal da war, würde er nicht mehr weichen, und so wartete sie an der Tür und lauschte auf das neuerliche leise Klopfen, bis es verstummte, und Schritte sich langsam durch den mit Teppich ausgelegten Korridor entfernten.
Ihr war unbehaglich zumute. Ohne Licht zu machen, zog sie ein Joggingtop über, tastete nach ihren Zigaretten und trat wieder ans Fenster. Der Mond war da, und das gestreifte Rasenband, das zum Wasser hinabführte, war wie ein Bühnenbild beleuchtet. Die Atmosphäre war so geisterhaft, besonders mit der gespenstisch leuchtenden Burg im Hintergrund, dass Gabriella einen Moment brauchte, um die Gestalt in dem weißen Gewand vom Rest der Szene zu trennen. Es war, als wäre ein Bild aus einem alten Horrorfilm zum Leben erwacht. Die unangezündete Zigarette schlaff im Mund, starrte sie mit sich sträubenden Nackenhärchen auf das Wesen, das schemenhaft über den Rasen glitt. Dann sah sie, dass ein orangefarbenes Pünktchen sich nach unten und nach oben dicht an ein Gesicht bewegte, und erkannte, dass auch diese Person rauchte. Während ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, traten weitere Einzelheiten hervor: der Pullover über dem Nachthemd. Die Turnschuhe. Die junge Frau spazierte hinunter bis an den Rand des Wassers, blieb dort eine Weile stehen und blickte über den See. Dann ließ sie den Zigarettenstummel fallen, trat ihn mit ihrem Schuh ins Gras, schob ihr langes Haar aus dem Gesicht und ging langsam wieder ins Hotel zurück.
Miss Leela Zahir distanziert sich von dem Computervirus, das so viel Zerstörung und Verwirrung in der ganzen Welt angerichtet hat. Sie betont, dass sie mit der Person oder den Personen, die dafür verantwortlich sind, nichts zu tun hat, und hofft, dass diese umgehend zur Rechenschaft gezogen werden. Ihr Mitgefühl gilt allen Betroffenen, vor allem denen von ihren Fans, die diese heimtückischen E-Mails irrtümlich für eine offizielle Mitteilung von Miss Zahir, LovelyLeela Pvt oder einer anderen mit ihr in Verbindung stehenden Person oder Gesellschaft gehalten haben. Als Künstlerin war für sie diese ganze Erfahrung belastend und beunruhigend. Sie hofft, dass sie, nachdem sie diese Erklärung abgegeben hat, ihren Weg schauspielerischer Kreativität in Frieden fortsetzen darf.
Die Ausschmückungen hatte Iqbal hinzugefügt, der Gabys Entwurf zu nüchtern fand. »Wir brauchen hier ein bisschen Gefühl«, sagte er. »Ein paar anrührende Emotionen.« Außerdem änderte er »Frau« in »Miss« um und gab die Anweisung, dass der Text in einer altmodischen Handschrifttype getippt würde, »um ihm einen persönlichen Touch zu verleihen«. Das Statement wurde unter Leelas Tür durchgeschoben, lockte aber keinerlei Reaktion hervor.
Gaby frühstückte im Schneidersitz auf ihrem Bett und schaute CNN. Ausnahmsweise hatte sie großen Appetit und mampfte jede Menge Toasts und Müsli, die sie mit starkem Tee herunterspülte. Das Virus war der zweite Schwerpunkt der Sendung. Nach Auffassung eines Talkshowteilnehmers war es eine neue Spielart. Ein anderer äußerte die Meinung, es stamme aus Indien. Videoaufnahmen verschiedener Fälle von Datenkollaps wechselten mit
Weitere Kostenlose Bücher