Grayday
ersten Mal erfuhr Chris davon, als die Bullen anriefen. Es war sehr früh am Morgen, und der amtliche Ton der Stimme brachte sie zum Ausflippen. »Sind Sie Ms. Christine Rebecca Schnorr?« Chris kam nie gut mit Behörden zu Rande, schon gar nicht, wenn sie einen Kater hatte. Nic lag pofend neben ihr im Bett, einen Arm über ihre Brust geworfen. Sie schob ihn weg, setzte sich auf und rieb sich das Gesicht.
»Ja, bin ich.«
»Hier spricht Hilfssheriff Janine Foster vom Polizeirevier Snohomish County. Sind Sie die Eigentümerin eines weißen Honda Civic mit dem Kennzeichen 141-JPC?«
»Yeah. Ich meine, ja, bin ich.«
»Wissen Sie, wo sich Ihr Wagen befindet?«
»Wie bitte?«
»Wissen Sie, wo sich Ihr Wagen in diesem Augenblick befindet?«
»Soweit ich weiß, steht er draußen.«
»Ich verstehe. Wann haben Sie das Fahrzeug das letzte Mal benutzt?«
»Gestern Abend. Ich bin gegen elf nach Hause gekommen.«
»Sie sagen also, Sie sind mit dem Fahrzeug etwa um elf nach Hause gefahren.«
»Äh, ja. Worum geht’s eigentlich?«
Nic war aufgewacht, hatte sich auf einen Ellbogen gestützt und hörte benommen zu, während die Polizistin ihr erzählte, was passiert war. Es schien, dass irgendwann, nachdem sie vom Brewhouse zurückgekommen waren, jemand ihren Wagen von der Auffahrt gestohlen hatte, auf der I-5 nach Norden gefahren war und dann morgens kurz vor vier in der Nähe einer Ortschaft namens Smokey Point, ungefähr fünfundzwanzig Meilen entfernt, von einer Ausfahrt runtergefahren war. Der Ast eines Baumes habe sich in den Kühler gebohrt, und der Wagen sei nicht fahrbereit, aber abgesehen von ein paar Beulen und der zertrümmerten Windschutzscheibe sei er okay. Wer immer das auch getan habe, sie müssten zu Fuß das Weite gesucht haben, aber es sehe so aus, als hätten sie sich bei dem Unfall verletzt, denn die Autobahnstreife habe Blut auf dem Armaturenbrett und den Sitzen gefunden.
»Wie viel Blut?«, fragte Chris. »Etwa sehr viel?« Ein neuer Kühler und eine Windschutzscheibe würden wahrscheinlich bereits mehr kosten als der verbeulte zwölf Jahre alte Honda wert war. Mit den Blutflecken des rätselhaften Autodiebes als Zugabe war sie sich ganz und gar nicht sicher, ob sie die alte Japsenschleuder zurückhaben wollte. Sie versprach der Polizistin, später anzurufen, damit der Wagen abgeschleppt würde, und ging in die Küche, um Kaffee zu kochen. Zwei Minuten später war sie zurück.
»Nic, wo habe ich gestern Abend die Wagenschlüssel hingetan?«
»Was? Weiß ich nicht. Wo du sie immer hintust?«
»In die Schale. Ich tue sie immer in die Schale. Aber hast du wirklich gesehen, dass ich sie gestern Abend da reingetan habe?«
»Ach, komm, Chris. Wie soll ich mich daran erinnern?«
»Nic.«
»Ich weiß es nicht, Chris. Tut mir Leid.«
»Tja, da sind sie aber jetzt nicht.«
Nic sah sie zweifelnd an. Dann schwang er die Beine aus dem Bett und begann nach den Schlüsseln zu suchen. Beide suchten sie über eine Stunde. Chris musste ein Taxi rufen, um zur Arbeit zu fahren, und als sie ging, öffnete er immer noch Schränke und zog Utensilien heraus, um dahinter zu spähen. Am frühen Vormittag schickte er ihr eine E-Mail. Die Schlüssel waren definitiv weg. Es gab nur eine mögliche Erklärung: Derjenige, der den Wagen gestohlen hatte, war ins Haus gekommen und hatte sie an sich genommen. Der Gedanke bereitete Chris Übelkeit. Dass jemand in ihrer Küche herumschlich, während sie oben schlief. Sie und Nic hatten es sich abgewöhnt, die Tür zu verschließen. Es war ein sicheres Viertel. Nie passierte etwas. Sie hinterließ eine Nachricht für Hilfssheriff Foster, und diese Nacht schlief sie mit ihrem Softballschläger am Bett. Am nächsten Morgen rief sie wegen des Wagens einen Abschleppdienst an und saß den ganzen Tag an ihrem Schreibtisch, während ihr immer wieder dasselbe im Kopf herumging: Wie der Unbekannte die Treppe heraufkommt, die Gazetür öffnet und in das dunkle Haus schlüpft… Dieses Eindringen hatte etwas Gruseliges, etwas, das ihr Verständnis einfach überstieg. Das wurde erst am dritten Morgen richtig deutlich, als ihr Chef bei Virugenix zu einer Versammlung rief und sie zu ihrem Erstaunen feststellte, dass das FBI da war, um sie zu vernehmen.
»Welcher Art ist Ihre Beziehung zu Arjun Mehta?«
Der Ermittler warf einen verbindlichen Blick über den Schreibtisch, der alte Polizeitrick, ohne auffällige Gestik Schuldgefühle im Gegenüber zu wecken. Er trug einen buschigen, braunen
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