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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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Blondine am Handgelenk und zog sie nach drinnen.
    Der Wodka ging zur Neige, und er machte sich über den Gin her. Dumpfes stetiges Bassgedröhn drang durch die Wand wie verstärktes rasendes Herzklopfen. Sein Leben kam ihm vor wie ein Netz oder eine Hängebrücke, jedes gespannte Teil hing mit dem nächsten zusammen. Wenn Tomorrow* rausfiel, was blieb dann übrig? Unten öffnete sich das Foyer zu einem Lichthof, der sich Schwindel erregende zwanzig Stockwerke bis zu der kleinen Kiste erhob, in der er saß, den Gin austrank und zu Whisky überging. Ein Bau rund um eine riesige Leere. Das alles schien zum selben unwahrscheinlichen Witz zu gehören, der Lichthof, die Balkonreihen, die Restaurants: 2000 Zimmer voller Menschen wie er, die gefriergetrocknete, künstliche Luft atmeten und zusahen, wie Eiswürfel aus entsalztem Wasser in ihren Gläsern schmolzen. Und unter ihren Füßen, irgendwo unter den Fundamenten, der rote Treibsand der Wüste.
    Der Bassrhythmus pochte. Und ein anderer Ton, hoch und stoßweise. Ein menschlicher Ton. Sex oder Schmerz.
    Er musste unbedingt mit Gabriella sprechen. Er konnte ihr sagen, wie die Dinge stünden, wie wichtig sie ’war, jetzt, wo alles andere den Bach runterging. Vielleicht wäre sie lieb zu ihm. Sicher war es riskant, sich ihr zu offenbaren, aber schließlich war sie seine Freundin. Von einer Freundin durfte man erwarten, dass sie die Dinge zum Besseren wendete. Er wählte ihre Nummer vom Hoteltelefon aus, zu betrunken, um sich noch Gedanken wegen der Kosten zu machen. Die Nummer schaltete auf Mailbox. Er versuchte es bei der internationalen Telefonauskunft, die war außer Betrieb. Schließlich konnte er den Mann an der Rezeption überreden, die Nummer ihres Hotels herauszusuchen und ihm durchzustellen.
    Eine Stimme mit schottischem Akzent bestätigte, dass Miss Caro in Zimmer 106 sei.
    Das Telefon klingelte achtmal. Gerade als er aufgeben wollte, ging sie ran. Ihr Hallo war hauchig, zerstreut. Hinein mischte sich irgendein Artefakt des Telefonsystems, ein seltsames elektronisches Rauschen. Es klang wie ein Aufsplittern von Informationen, wie Leerstellen in der Kommunikation.
    »Hallo? Hallo?«
    »Ja?«
    »Gaby, ich bin’s.«
    »Oh, Gott. Guy.«
    Die Stimme am anderen Ende war gedämpft, und für einen Moment wurde er mit dem Weltraumgeheul allein gelassen. Er hatte die Vorstellung, sie habe eine Hand über den Hörer gelegt.
    »Gaby. Hallo?«
    »Guy – ich bin …«
    »Ist das keine gute Zeit?«
    »Nein. Nein. Doch, natürlich ist es das. Was meinst du denn?« Sie klang erregt. Gaby war normalerweise ganz ruhig. »Ich dachte, du bist in Dubai.«
    »Bin ich auch, Schätzchen. Ich wollte nur deine Stimme hören.«
    »Warum rufst du an? Ich meine, es ist sehr spät, verstehst du?«
    »Aber sicher doch nicht so spät. Ich hab nachgesehen. Es ist zehn Uhr, wo du bist.«
    »In Ordnung«, sagte sie, »in Ordnung.«
    »Was hast du denn?«
    »Gar nichts habe ich, Herrgott noch mal. Guy, warum bist du nur immer so? Was hast du? Nichts habe ich, okay?«
    Die elektronischen Störungen nahmen zu. Ein Teil davon trennte sich und wurde zu einem Rückkopplungsgeheul, einem Ton, der durch die Scherben ihrer Stimme hindurch stieg und sank.
    »Hallo?«
    »Hallo?«
    »Gaby, ich wollte nur mit dir reden. Es läuft nicht sehr gut hier.« Keine Antwort. »Gaby? Hallo?«
    »Ich hoffe, du hast nicht bloß angerufen, um mit mir über deine Arbeit zu reden. Weil, verstehst du, gerade jetzt bin ich dazu nicht in der Lage. Ich habe meine eigene Welt, Guy. Auch ich arbeite hier, hast du das vergessen?«
    Das Rauschen erreichte ein Crescendo und sank wieder ab. Das Dröhnen der Party durch die Hotelzimmerwand schien lauter zu werden. Verrückterweise schienen die Partygeräusche auch aus dem Hörer zu kommen. Er hatte das Gefühl, überhaupt nicht sicher zu sein, woher das, was er hörte, kam. Als das Rauschen leiser wurde, meinte er, eine Männerstimme zu hören. War jemand dort bei ihr?
    »Wer ist das, Gaby?«
    Schweigen.
    »Gaby? Gaby, hörst du mich?«
    »Guy, ich kann jetzt nicht sprechen. Wir müssen miteinander reden, aber dies ist nicht der richtige Moment, okay?«
    Ein kleiner Stein bildete sich in seiner Magengrube. »Gaby? Wovon redest du?«
    »Es geht jetzt nicht. Nicht übers Telefon.«
    »Was hast du denn? Was meinst du damit, nicht übers Telefon?«
    »Ruf mich an, wenn du zurückkommst. Ruf mich an, wenn du zum Flughafen fährst.«
    »Gaby? Hallo?«
    Abrupt verstummte das Rauschen.

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