Grayday

unsicher an, dann schaute sie aus dem Fenster nach seinem Wagen. Schließlich gab sie ihm den Schlüssel, wobei sie den riesigen hölzernen Anhänger ganz langsam über den Tresen schob, als könnte er ihn stehlen oder sie damit angreifen wollen.
    Er zog sich um, putzte die Zähne und säuberte sich gründlich, wusch sich die Dreckstreifen aus dem Gesicht und zog einen Kamm durchs Haar, wobei er vorsichtig die klaffende Wunde auf dem Scheitel mied. An dem Bluterguss auf seiner Wange oder den Schnitten über seinem linken Auge konnte er nichts machen. Da ihm schwindlig war, setzte er sich auf die Toilette und lehnte den Kopf gegen die schmutzige Gipswand. Er musste eingeschlafen sein, denn als Nächstes bemerkte er, dass die Angestellte gegen die Tür hämmerte. Rasch zog er den Reißverschluss seiner Tasche zu und machte sich aus dem Staub. Als er zielstrebig auf den Highway zulief, war er sich nur allzu bewusst, dass die Frau ihm mürrisch durchs Fenster hinterherblickte, den Schlüssel fest in der Hand.
    Dann saß er auf dem Beifahrersitz eines zerbeulten Pritschenwagens. Er wusste nicht mehr genau, wie er dort hingekommen war. Der Fahrer, ein Mann mit steinernem Gesicht, trug Arbeitsklamotten, eine Latzhose und ein kariertes Hemd. Sie fuhren zwischen hohen Bäumen hindurch, durch die das Sonnenlicht in unregelmäßig breiten Streifen fiel. Am Straßenrand warben riesige Reklametafeln für das Kasino in einem Indianerreservat. Blackjack. Roulette. Pai Gow Glückspoker. Keno. 21. Dann wichen die Bäume Einkaufszentren und Reihen einstöckiger Häuser am Highway. Der Mann sagte nichts, und Arjun fiel auch nichts ein. Er war durch seine Kopfschmerzen benebelt. Wo sind wir … wer sind … warum? Obwohl die Straße eben war, reichte die Vibration aus, ihm Übelkeit zu bereiten. Er schloss die Augen.
    »Da wär’n wir«, sagte der Fahrer. Sie befanden sich in einer Ortschaft und hielten auf einer Hauptstraße.
    »Ist das Kanada?«, fragte Arjun. Der Mann sah ihn seltsam an, dann langte er über ihn weg und öffnete die Beifahrertür.
    »Busstation is gleich da drüben«, sagte er. »Pass auf dich auf. Siehst nicht grade aus, als wärst du in Hochform.«
    Der Mann im Pritschenwagen fädelte sich in den Verkehr ein und ließ Arjun schwankend neben seiner Tasche in dieser Stadt stehen, deren Namen er nicht kannte. Er ging über die Straße zur Greyhound-Station hinüber, an der ein Bus abfahrbereit stand, und reihte sich in die Schlange der anderen Fahrgäste ein, bis er zur Tür des Busses kam und der Fahrer ihn nach seinem Fahrschein fragte. Mit pochendem Schädel stand er am Fahrkartenschalter wieder in einer Schlange. Am Counter gab es neue Verwirrung. Die Frau verdrehte die Augen und klapperte mit ihren langen Fingernägeln auf dem Rand ihrer Tastatur. Er bat sie eindringlich, ihm eine Fahrkarte für den Bus zu geben, aber sie fragte nur immer wieder, welcher Bus, welcher, und er antwortete, der da draußen, und endlich verkaufte sie ihm eine Karte, während sie ihrem Monitor ein Gesicht schnitt, als wolle sie ihm gestehen, dass dies der Allerwahnsinnigste in der langen Reihe von Wahnsinnigen an diesem Tag sei.
    Er suchte sich einen Platz hinten in der Nähe der Toilette. Spürte das Dröhnen tief in seinem Körper, als der Fahrer den Motor anließ, wanderte dann zu einem klimatisierten Platz, der nach und nach kühler wurde, bis es ihm vorkam, als werde er von Eissplittern durchbohrt, schlanken Pfeilen, eine Kaskade von Eisnadeln, die er nur abschütteln konnte, so dass sie rings um ihn abfielen wie bei einem nadelnden Weihnachtsbaum.
    Er öffnete die Augen auf eine öde Landschaft, kahle prähistorische Hügel, an deren gelben Rücken an manchen Stellen dunkle Schluchten klafften. Riesige Hochspannungsmasten wanderten zum Horizont davon, das einzige menschliche Zeichen in der Ödnis. Neben ihm saß ein älterer Mann in einem weißen, bis zum Hals zugeknöpften Hemd. Er las eine Broschüre, einen religiösen Traktat, den er durch seine Drahtbrille mit großer Aufmerksamkeit studierte.
    »Wo sind wir?«, fragte Arjun.
    »Fast am Ziel«, antwortete der Mann.
    Dann wurde der Eiswald seines Traums durch einen echten ersetzt, dessen Bäume sich zur Straße vordrängten wie ein grüner Pöbelhaufen, der von den Hügeln herunterströmt. Über ihnen erhob sich ein Berg mit einem Flecken Schnee auf seinem Gipfel, und die Straße führte auf ihn zu, und der Motor dröhnte, und der alte Mann sagte: »Selbst in diesen letzten