Graz - Novelle
ein Mann. Der Wind sorgte für viel Unruhe. „Arme suchende Seele“, sagte ich zu mir, und ich drückte meine Hände in meine Taschen und zog meinen Kopf tief in den Kragen hinein. „Gute Seele, brave Seele“, sagte ich und vergewisserte mich, dass keine Autos kamen und überquerte die Straße.
Ich überquerte den Streifen, wo im Sommer die Touristenbusse halten. Ganze Ladungen Touristen der faulen Sorte werden auf diesem Platz ausgestreut, sie strömen durch das Tor, das Mausoleum hinein und hinaus, und danach mit einem Führer das Fresko mit den drei Plagen entlang in den Dom hinein, um über den Westflügel wieder herauszukommen, den Weg nach oben zu gehen, schnaufend den Hügel hinauf, wie Ameisen mit einem Ei, dicht hintereinander. Sie folgen den Pfeilen zum schnellen Aufzug, der sie für wenig Geld zur Panoramaaussicht auf den höchsten Punkt des Schlossbergs bringt. Sie können auch für kein Geld zu Fuß hinaufkommen, die zweihundertsechzig Stufen des Kriegssteigs, aber das tun sie nicht. Sobald sie oben sind, drehen sie ihre Tasche vor den Bauch, holen ihren Fotoapparat heraus, das Ding klickt, als ob es so wie früher ein mechanisches Gerät sei, doch sie sind nagelneu und billig und stellen alles, was sie vor das Visier bekommen, von selbst scharf, die neuen slowenischen Freundinnen, die zufällig Vorbeigehenden, das Panorama, die roten Dächer der Stadt und später auch noch die Tür des Tourbusses, bevor sie einsteigen.
Ich bin kein Mann, der sich leicht über irgendetwas aufregt. Ich gebe schon seit Jahren Rat, ich erkenne an den Medikamenten, welche Jahreszeit gerade ist, ich mache, wenn nötig, meine Buchhaltung, ich gehe vor dem Schlafengehen spazieren.
Im Dunkel des Parks fiel mir das Atmen schwer. Ich blieb stehen, nahm die Hände aus den Taschen und ließ sie neben meinem Körper herabhängen. Ich versuchte, langsamer zu atmen und schloss kurz meine Augen, um mich besser konzentrieren zu können, doch weil ich der Dunkelheit nicht vertraute, nicht hinter meinen Augen und nicht um mich herum, machte ich sie schnell wieder auf und sog mit einem Mal sehr viel Luft in mich ein.
Als ob der Sauerstoff mich an das Leben denken ließ und meine Gedanken mich sofort an dessen Kehrseite erinnerten, lag zu meinen Füßen plötzlich das Mädchen, und weiter vorne lag ihr Fahrrad. Ich dachte, dass das Mädchen der Tod selbst war, doch ich schüttelte den Kopf: Das Mädchen wurde auf eine Tragbahre gelegt und mit der Rettung weggebracht. Sie war nicht tot. Sie würden sie retten. Natürlich würden sie sie retten.
Ein paar Sekunden fühlte ich mich wie der Hund, der witternd auf der Straße gestanden hatte, doch da ich weiter vorne, unter den Bäumen im Burghof, Beine sah, die sich bewegten, ging ich weiter. Es gibt Ängste, die ich nicht gerne beim Namen nenne.
Ich machte einen kleinen Umweg durch die Passage, die das Opernhaus mit dem Theater verbindet, und ging resolut über den Kaiser-Josef-Platz in die Maiffredygasse hinein. Meinem Gefühl nach war der Weg, dem ich folgte, eine gerade Linie. Ich überquerte die Maiffredygasse auf der Höhe von Nummer vierzehn. Ich stieg auf die Verkehrsinsel und dachte an das Mädchen und die Einkäufe, die um sie herum verstreut lagen. Für wen hatte sie die Krapfen gekauft? Wer wartete auf die Milch? Stand die Vase gerade sehr leer?
Als ich mich umschaute, ob Autos kamen, wurde ich von weißem Licht geblendet. Ich sah ein paar Sekunden lang Flecken vor den Augen und dachte an ein kurzes Flimmern der Straßenlaterne, einen Defekt von einer Sekunde. Ich dachte an einen Fotoapparat oder die Spiegelung einer Glasscheibe, aber um mich herum waren die Fenster dunkel. Die Straßenlaternen surrten. Über der Apotheke brannte das Licht: mein Schimmerlicht, meine Leselampe und in der Fensterbank die Lampe, deren Fuß eine Frau ist, die eine Kugel aus Licht hochhält.
Ich trat einen Schritt zurück, um die Gemütlichkeit meiner Wohnung aus dem Abstand zu betrachten. Wieder erschrak ich. Das Licht pulsierte. Das Weiß des Lichts brannte auf meiner Netzhaut, das ging nur langsam weg.
Als ich meinen Kopf hob und zwischen den Wimpern durchblinzelte, begriff ich, dass eine der Straßenlaternen durch zwei kleine Spiegel neben meinem Fenster widergespiegelt wurde. Die Spiegel verwendete ich schon seit Jahren nicht mehr, und seit die Fenster von einem Fensterputzer gereinigt wurden, zeigten sie jedes Mal, wenn der Mann da gewesen war, in eine andere Richtung. Schon ein paarmal
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