Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
es wäre womöglich meine Schuld; ich hätte
keine Beziehung mehr zu den Menschen. Aber der
Aufruhr der Neumenschen war ein Fehler. Sogar ich
konnte erkennen, dass es nicht einfach spontan dazu
kam. Dass er geplant und inszeniert wurde. Von
Euch. Ich gestehe frei, dass ich keinen Grund zu er
kennen vermag, warum Ihr Anarchie und Blutver
gießen wünschen könntet, aber andererseits habe ich
das Böse noch nie verstanden. Mir ist nur von jeher
klar, dass ich mit jeder Waffe, die mir zur Verfügung
steht, dagegen kämpfen muss.«
»Eure Zeit ist vorüber, Gangwerth!«, schnauzte
Angelo und beugte sich heftig vor, um sein Gegen
über besser anfunkeln zu können. »Ihr und all die
Schwächlinge Eures Kalibers haben keinen Platz in
der neuen Kirche oder dem künftigen Imperium.
Geht nach Hause. Setzt Euch zur Ruhe. Werdet wie
der Mönch. Solange Ihr noch die Wahl habt.«
»Der Schmetterling kann nicht wieder zur Raupe
werden«, hielt ihm der Patriarch entgegen. »Ich wur
de erwählt. Und im Gegensatz zu Euch, wie es
scheint, nehme ich meine Religion ernst. Ich werde
gegen Euch kämpfen, weil ich es tun muss. Selbst
die stillsten Seelen können im Namen Gottes zu
Kriegern werden. Wir alle sind fähig, uns über das
hinaus zu entwickeln, was wir sind oder wofür wir
uns halten. Das bildet die Grundlage unseres Glau
bens. Wir alle sind in der Lage, uns im Namen Got
tes über unsere bescheidenen Anfänge zu erheben.
Woran glaubt Ihr, Angelo? Glaubt Ihr überhaupt an
etwas außerhalb von Euch?«
»Ich glaube, dass ich sehr reich und sehr mächtig
sein werde«, sagte Angelo. Er lehnte sich zurück und
bemühte sich, die Ruhe zu bewahren. »Und ich sche
re mich nicht darum, was andere glauben. Nichts von
diesem Scheiß hat noch irgendeine Bedeutung! Jetzt
zählt nur noch, ob Ihr für oder gegen mich seid. Ah,
Roland, Ihr ahnt ja nicht, wie gut es sich nach all die
sen Jahren der Verlautbarung freundlicher Plattitü
den anfühlt, offen sprechen zu dürfen, die Wahrheit
zu äußern! Wisst Ihr, warum ich so erfolgreich Geld
für wohltätige Zwecke sammeln konnte? Weil ich
immer mehr absahnen konnte, je mehr ich sammelte,
und so das behagliche Leben erreichte, von dem ich
schon immer wusste, dass ich es verdient habe. Per
sönlich halte ich die Reine Menschheit für einen
Haufen geistloser Schläger und ihre so genannte Po
litik für nicht mehr als kindliche Fremdenangst; aber
sie sind so ausgezeichnete Soldaten! Man muss sie
nur aufziehen, in die richtige Richtung drehen und
loslassen. Und abwarten, während sie die notwendige
Drecksarbeit erledigen.«
»Ihr gesteht es?«
»Warum nicht? Ich verrate Euch ja nichts, was Ihr
nicht schon wisst oder argwöhnt. Und es wird Euch
ja auch nie jemand zuhören … Seht Ihr, Roland, un
ter Euch und Euresgleichen war die Kirche nie mehr
als eine verschenkte Gelegenheit. Keine echte Macht,
kein echter Einfluss, nur ein paar verworrene Philo
sophien und eine ziemlich ermüdende Besessenheit
vom Labyrinth des Wahnsinns. Ihr hattet das Ohr des
Königs, die Aufmerksamkeit des Parlaments und den
Respekt des Volkes, habt aber damit nie etwas ange
fangen. Ihr hattet weder Feuer noch Leidenschaft
oder Ehrgeiz. Ich hingegen habe die Kirche nach
meinem Bilde neu geformt, ihre Seele mit Eisen ver
stärkt, und schon ist sie zu einer Machtbasis gewor
den, mit der zu rechnen ist. Wenn ich spreche, hört
mir der König zu, zittert das Parlament und beeilen
sich die Menschen zu gehorchen. Jetzt heißt es: Fragt
nicht, was eure Kirche für euch tun kann, sondern
was ihr für eure Kirche tun könnt! Und mich amü
siert doch immer wieder, wozu Menschen im Namen
der Religion bereit sind: Sie hassen und kämpfen und
töten und begehen allerlei üble und scheußliche Din
ge, die sie nie für irgendeine andere Sache verüben
würden. Und ich werde ihnen schließlich das Laby
rinth des Wahnsinns öffnen. Gott weiß, wie viele
Tausende oder gar Millionen armer, irrgeleiteter To
ren ich durch das verdammte Ding hetzen muss, um
herauszufinden, wie es funktioniert; aber andererseits
war es schon immer ein kleiner Schritt vom Fanati
ker zum Märtyrer. Und der Kirche hat es an beiden
noch nie gemangelt.«
»Ich werde Euch aufhalten«, sagte der Patriarch.
»Ich werde diesen Wahnsinn aufhalten. Dieses Böse!
Ich werde alles tun, was nötig wird.«
»Nein, werdet Ihr nicht«, entgegnete Angelo. »Eu
re Zeit ist vorüber, Roland. Lebt wohl.«
Seine Hand bewegte sich
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