Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
rede nicht viel mit
Leuten. Sie reden nicht viel mit mir. Ich habe nicht
viel mit anderen gemeinsam. Das ist Euch wahr
scheinlich aufgefallen. Ich lebe für den Kampf. Fürs
Töten. Für spritzendes Blut und den Blick von Au
gen, aus denen das Leben schwindet. Und jahrelang
war das alles, was ich brauchte, was ich mir von an
deren Menschen wünschte. Aber Ihr, Brett … Ihr
seid anders. Ich empfinde Euch gegenüber anders.
Ich möchte … Euch kennen lernen. Besser kennen
lernen. Und ich weiß nicht wie.«
Sie versucht eine Verbindung herzustellen!, dachte
Brett ungläubig. Ich weiß nicht recht, ob ihr über
haupt klar ist, was das bedeutet, aber genau das ver
sucht sie. Brett überlegte ernsthaft, ob er aufspringen
und um sein Leben laufen sollte, aber irgendwie kam
es nicht dazu. Zum Teil, weil sie ihn wahrscheinlich
schon umgebracht hätte, ehe er die Tür erreichte,
falls sie fand, sie wäre beleidigt worden – und zum
Teil … weil ihre unbeholfenen Versuche, jemanden
zu erreichen, fast anrührend wirkten. Vielleicht tat
sie das zum ersten Mal in ihrem Leben. Das machte
sie kein bisschen weniger Furcht erregend, aber …
»Ihr könnt mit mir reden, Rose, falls Ihr das möch
tet«, sagte Brett vorsichtig. »Worüber möchtet Ihr
gern sprechen?«
»Ich weiß nicht. Das ist alles neu für mich. Ein
unentdecktes Land. Machen Freunde es so?«
»Manchmal. Habt Ihr Freunde, Rose? Nein, natür
lich nicht; alberne Frage.«
»Ich habe mir nie Freunde gewünscht. Menschen
machen alles komplizierter. Sie haben Wünsche an
mich, die ich noch nie verstanden habe. Freund
schaft, Liebe, Sex: Das alles war für mich stets rät
selhaft. Aber jetzt … möchte ich mehr über Euch er
fahren, Brett. Wer Ihr seid und was Ihr seid. Wer und
was Ihr wart, ehe wir uns begegnet sind. Ist das die
Art Dinge, die Freunde voneinander wissen möch
ten?«
»Ja, Rose. Ihr habt es verstanden.«
Brett machte sich bereit, sein übliches Geplauder
abzusondern, jenes sorgfältig geprobte und polierte
Lügenpaket, das er immer zum Besten gab, wenn er
eine neue Frau in seinem Leben beeindrucken wollte,
aber irgendwie … konnte er das bei Rose nicht ma
chen. Sie hätte diese Sprüche ohnehin nicht zu wür
digen vermocht. Und so sagte Brett dieses eine Mal
und sehr zur eigenen Überraschung die Wahrheit.
Er war im Slum aufgewachsen, wo seine Mutter
das Geld für die Miete auf dem Rücken verdiente
und ein Stiefvater nach dem anderen in sein Leben
trat, wie die Laune sie trieb. Manche gaben ihm
Geld, andere schlugen ihn, aber Brett gab auf das
eine ebenso einen Dreck wie auf das andere. Schon
in jungen Jahren fand er ein neues Zuhause auf der
Straße und sorgte für sich selbst, weil er ohnehin der
Einzige war, dem er traute; er geriet in jede Art von
Schwierigkeit, die man dort draußen antraf, und
brachte sich selbst die Künste des Betrügens und der
Gerissenheit bei, denn das war es, was er am besten
konnte. Und woran er Spaß hatte. Er machte sich ei
nen Namen und wurde jemand, mit dem zu rechnen
war, noch ehe er zwanzig wurde, während er außer
halb des Slums sorgfältig ein Dutzend neue Namen,
Gesichter und Identitäten annahm, alle jederzeit ver
fügbar. Er gewann und verlor ein Dutzend Vermö
gen, ehe er zwanzig wurde, und weinte keinem da
von eine Träne nach. Er tat es nicht des Geldes we
gen. Er tat es der Jagd und der Herausforderung hal
ber, des Nervenkitzels, der ihn gänzlich verschlang.
Dabei fühlte er sich lebendig.
Niemals vergaß er jedoch, diesen einen klaren An
spruch auf wahre Größe zu erheben: dass er nicht nur
von einem, sondern von zwei der größten Helden des
Imperiums abstammte. Er war von seinem schon
lange verschollenen Vater her ein Bastard Ohne
sorgs; eine unstete Seele, die seine Mutter stark ge
nug beeindruckte, damit sie ihrem einzigen Kind den
Nachnamen des Vaters gab. Natürlich konnte das
alles gelogen sein, nur ein Vorwand, um seine Mutter
zu beeindrucken, aber Brett glaubte das nicht. Von
jeher wusste er, dass er zu Großem berufen war. Er
spürte es in den Knochen und in der Seele. Eines Ta
ges würde er selbst ein Großer sein. Was immer dazu
nötig wurde.
Solche Träume brauchte man im Slum.
»Da habt Ihr es, Rose. Die Geschichte meines Le
bens, soweit man sie erzählen kann. Ich bin das, wo
zu ich mich selbst gemacht habe. Der König der
Gaunerei und des Doppelbluffs. Was ist mit Euch?
Welche schrecklichen und traumatischen Ereignisse
haben Euch vom
Weitere Kostenlose Bücher