Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
»Douglas, ich habe dich nie verletzen wollen …«
»Dann hast du es verpfuscht, nicht wahr?« Sein
Ton war kalt und gnadenlos, denn er wusste: hätte
er seinen Gefühlen auch nur einen Augenblick lang
nachgegeben, wäre er in Tränen ausgebrochen, ge
nau hier im Plenarsaal vor den Augen aller Welt.
Er hatte gerade die beiden einzigen Menschen ver
loren, aus denen er sich je wirklich etwas gemacht
hatte. Er gab den beiden Wachleuten einen müden
Wink. »Führt sie weg. Ich möchte sie nicht mehr
ansehen.«
»Wartet!« Finn Durandal humpelte auf ihn zu, und
alle wichen ihm aus und räumten ihm viel Platz ein.
Sein Gesicht wirkte ruhig und die Stimme klang
gleichmäßig, aber die Augen verrieten Wut und
Rachsucht. Es wurde still im Plenarsaal, als alle dar
auf warteten, welche Überraschung er noch im Är
mel hatte. Finn blieb schwankend vor dem Thron
stehen, und wegen der Schmerzen in den Rippen
tropften ihm Schweißperlen von der Stirn. Er hatte
Blut an den Lippen und am Kinn, das wegzuwischen
er sich nicht die Mühe gemacht hatte. Finn kannte
die Bedeutung eines starken visuellen Eindrucks. Der
Anblick, wie er geschlagen und blutverschmiert, aber
ungebeugt vor seinem König stand, war innerhalb
einer Stunde sicher in allen Medien zu sehen und
würde viel dazu beitragen, dass die Leute vergaßen,
wie er den Verräter Todtsteltzer hatte entkommen
lassen. Er brachte eine kleine Verbeugung vor dem
Thron zustande und funkelte Jesamine an. »Sie ist
genauso schuldig wie ihr Liebhaber, Eure Majestät!
Ihr Verrat wiegt nicht minder schwer. Auch sie muss
ihr Leben vor Gericht verteidigen!«
»Ihr habt genug Schaden für einen Tag angerich
tet, Finn«, sagte Douglas gelassen. Er blickte sich
finster unter den Abgeordneten um, ehe diese erneut
losbrüllen konnten. »Ja, sie ist eine Verräterin, aber
nur an mir, nicht am Imperium. Heute wurde hier
genug über den Tod gesprochen. Wir leben nicht
mehr zu Löwensteins Zeiten. Schließt Jesamine ein
und stellt sie öffentlich vor Gericht. Das Volk muss
die Beweise sehen und von der Wahrheit überzeugt
werden, oder es glaubt nie daran. Jesamine Blume,
die Diva, hat nach wie vor verdammt viele Fans, und
das Letzte, was wir gebrauchen können, sind noch
mehr Aufstände auf unseren Straßen.« Er wandte
sich erneut den wartenden Wachleuten zu. »Sie ist
eine Verräterin, also führt sie in die Halle der Verrä
ter im Blutturm. Ein höchst passender Ort für die
Frau, die Königin sein wollte. Sorgt dafür, dass sie es
bequem hat, aber sie erhält keine besonderen Privile
gien und empfängt absolut keine Besucher, es sei
denn, ich erteile vorher persönlich die Zustimmung –
und sie können mein Siegel als Beweis vorlegen.
Und verdoppelt die Wachen im Turm und vor dem
Turm, nur für alle Fälle.«
»Ja«, sagte Finn. »Die Halle der Verräter. Eine
ausgezeichnete Wahl, Eure Majestät! Soll das verrä
terische Miststück dort verfaulen, bis das Gericht
Zeit für sie findet. Und sobald es sie der Verschwö
rung gegen Euch und den Thron und das Imperium
schuldig gesprochen hat und das Volk mit absolutem
Recht ihren Tod fordert – dann werde ich ihr als Euer
Champion und amtlicher Henker den Kopf auf dem
Verräterblock des Blutturms abhacken, ihn hochhal
ten und der Menge zeigen. Ich befürworte von jeher
stark, die alten Traditionen zu pflegen.«
»Ich wusste schon immer, dass Ihr unheimlich
seid«, sagte Jesamine, ehe man sie abführte.
Nach langer Hetzjagd verließ Lewis Todtsteltzer das
Parlamentsgebäude, ohne dass es jemand sah, schritt
mit einem ausgeborgten Mantel, dessen Kapuze er
tief heruntergezogen hatte, offen durch die Stadt und
tauchte schließlich so gründlich ab, dass niemand ihn
finden konnte. Er war froh, dass er aus dem Parla
mentsgebäude hatte entrinnen können, ohne dafür
jemanden umbringen zu müssen. Die meisten dieser
Leute taten nur ihre Arbeit, wie er es tags zuvor noch
selbst getan hätte. Wie es schien, hatte man aller
dings jeden verdammten Wachmann, alle Sicher
heitsleute und jeden Schwertsöldner losgeschickt, um
ihn durch Parade der Endlosen zu hetzen. Seinem
Gravoschlitten hatte sich Lewis lieber nicht genähert;
das Fahrzeug wurde mit Sicherheit überwacht. Und
selbst wenn er es mit Gewalt hätte entführen können,
wäre er damit nur zu einem leichten Ziel geworden.
Also spazierte er die eine Straße hinauf, die andere
hinab, betrat Gebäude und verließ sie wieder und
hielt
Weitere Kostenlose Bücher