Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
Existenz. Nikki
Sechzehn betrieb ihren Laden zumindest teilweise als
Akt der Auflehnung und des Trotzes, um Gleichge
sinnten einen Platz anzubieten, wo sie sich treffen
konnten. Gegen Entgelt. Und nur manchmal fertigte
sie zum Zwecke der Erpressung oder des Verkaufs
Aufnahmen dessen an, was in ihren schallisolierten
Zimmern geschah. Ein Mädchen musste schließlich
von irgendwas leben! Selbst wenn sie nur zum Teil
ein Mädchen war.
Nikki Sechzehn war halb Mensch, halb N’Jarr.
Auf ihren zwei Meter zehn Körpergröße zeigte sie
eine teils dunkelblaue, teils graue Farbe, und inein
ander greifende Knochenplatten bildeten den ganzen
Rücken hinab einen Schutzpanzer. Das verblüffend
hübsche Gesicht wurde von einem Lächeln domi
niert, das sich fast wörtlich von einem Ohr zum an
deren erstreckte, sowie von gewaltigen Facettenau
gen und zwei beunruhigend haarigen Antennen, die
aus dem kahlen Schädel ragten. Nikki bewegte sich
meist unvermittelt und ruckhaft, und die jeweils zwei
Ellenbogengelenke verliehen ihren ausladenden und
dramatischen Gesten eindrucksvolle Breite und Wir
kung. Ihre schiere Präsenz konnte beunruhigend aus
fallen, ja sogar einschüchternd, und sie verbreitete
einen scharfen, würzigen Duft, der den Leuten
manchmal Tränen in die Augen rief, aber anderer
seits wartete sie mit sechs prachtvollen Brüsten auf,
also … Zu allem Überfluss hatte sie sich mit mehr
Piercings und entsprechendem, bei jedem Schritt läu
tendem und klimperndem Metallschmuck ausgestat
tet, als den meisten Betrachtern angenehm war. Nik
ki war warmherzig und freundlich und sehr gefühls
duselig, aber auch völlig kaltblütig, wenn es um ge
schäftliche Entscheidungen ging. Sie und Brett wa
ren seit vielen Jahren Freunde und Rivalen und Part
ner und hatten bei manch einem Ding zusammenge
arbeitet, das sich heute noch legendären Rufes er
freute, sogar hier im Slum. Der Fremde Liebling war
einer von wenigen Plätzen, wo Brett hoffen konnte,
eine Zeit lang in Sicherheit zu sein, auch wenn je
mand einen Preis auf seinen Kopf ausgesetzt hatte.
Und natürlich würde ihn niemand verraten, der ihn
hier erblickte, da er ja sonst selbst hätte erklären
müssen, was er in einem solchen Etablissement zu
suchen hatte … Andererseits musste man feststellen,
dass Nikki nicht immer froh war, wenn sie Bretts an
sichtig wurde.
»Oh Scheiße – was zum Teufel suchst du denn
hier?«, wollte Nikki mit ihrer rauen und rauchigen
Stimme wissen, als Brett in ihren Salon gelatscht
kam. »Jedes Mal, wenn du hier auftauchst, gibt es
Ärger. Ich würde dir glatt Hausverbot erteilen, wenn
ich glaubte, damit eine Wirkung zu erzielen. Wen
hast du diesmal fuchsteufelswild gemacht?«
»So ziemlich alle Welt«, antwortete Brett, plumps
te in den nächsten bequemen Sessel und warf einen
sehnsüchtigen Blick auf den Getränkeschrank. »Ich
brauche nur einen Platz, wo ich eine Zeit lang abtau
chen und mir überlegen kann, was ich als Nächstes
tue. Irgendeine Chance auf einen Drink, Nikki? Ich
könnte echt einen vertragen!«
»Mache es dir nicht allzu bequem«, sagte Nikki.
»Du kannst nicht bleiben! Alle meine Zimmer sind
belegt, und wenn ich bedenke, wie heute die Lage ist,
kann ich auf kein Geschäft verzichten. Und nein, du
darfst nicht wieder in meinem Keller schlafen! Ich
habe ihn in einen Vergnügungs- und Spieleraum um
gebaut, und eine ansehnliche Schalldichtung hat
mich einen Arm und eine Mandibel gekostet. Und du
bist nicht zu meinem letzten Geburtstag gekommen!«
»Sei doch nicht so, Nikki! Ich stecke diesmal echt
in Schwierigkeiten!«
»Das sagst du immer.«
»Und gewöhnlich habe ich Recht. Komm schon,
Nikki! Hätte ich nicht diese letzten paar Fischzüge
für dich überwacht, dann hättest du nie genug Geld
erhalten, um dieses Etablissement zu eröffnen. Du
schuldest mir was!«
Nikki schniefte laut. »Und du hörst nie auf, mir
das vorzuhalten, besonders dann, wenn du etwas
brauchst. Oh verdammt, ich konnte dir noch nie was
abschlagen, Brett! Ich hatte schon immer eine
Schwäche für charmante, nutzlose Mistkerle mit
mehr Ehrgeiz als Verstand. Du kannst eine Zeit lang
in meinem Zimmer schlafen. Und du brauchst gar
nicht so ein Gesicht zu machen – schlafen ist das
Einzige, was du hier tun wirst. Du kannst mich dir
heute nicht mehr leisten. Und gib dir Mühe, den
Kopf eingezogen zu halten, solange du hier bist! Du
weißt ja, wie sich meine Kunden erschrecken, wenn
sie ein
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