Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
Strahlenwaffen ins Visier, aber als die
beiden die von Sparren gelieferten Passwörter nann
ten, sanken die Waffen sofort. Die Wachleute wur
den sogar richtig unterwürfig und lächelten und ver
neigten sich und erwiesen beiden regelrecht Refe
renz. Sie sprachen vom Schattenhof und vom Höllen
feuerclub, und einer blinzelte Lewis sogar zu. Lewis
nickte nur steif und schwieg und dachte die ganze
Zeit: Wo zum Teufel steckt Sparren? Woher weiß er
so viel? Könnte er tatsächlich einer so üblen Organi
sation angehören?
Spazieren wir womöglich in eine Falle?
Der Zug, der am leeren Bahnsteig bereitstand, sah
nun gar nicht nach etwas aus, was Lewis aus Die fei
ne Gesellschaft kannte. Statt der Luxuswaggons der
Videosoap, die unter der Last allen Komforts der
Welt ächzten, erblickten Lewis und Jesamine einen
massiven, schnittigen Stahlzug mit einer einzigen
Tür und Läden über allen Fenstern. Sowohl der jahr
hundertealte Zug als auch der Bahnsteig zeigten sich
makellos, als würden sie regelmäßig benutzt. Die Tür
öffnete sich, als sie näher kamen. Lewis wies Jesa
mine an, auf dem Bahnsteig zu warten, während er
als Erster einstieg und sich argwöhnisch umsah. Er
entdeckte jedoch nichts weiter als leere, recht be
queme Sitze und keine Spur von weiteren Fahrgäs
ten. Er gab Jesamine einen Wink, und sie stieg rasch
ein. Sie setzten sich nebeneinander; die Tür schloss
sich, und der Zug fuhr sanft an. Lewis biss sich auf
die Lippe und sah sich weiter um, und es flösste ihm
mehr als nur ein bisschen Ehrfurcht ein, dieses histo
rische Verkehrsmittel zu benutzen. Er fragte sich, ob
Owen jemals mit einem solchen Zug gefahren war,
um Imperatorin Löwenstein an ihrem fürchterlichen
Hof zu besuchen. Jesamine klammerte sich an seinen
Arm und blickte starr nach vorn, gab sich ungewohnt
gedrückt und still. Lewis fragte sich, ob er sie trösten
und aufmuntern sollte, fühlte sich aber seltsam
benommen, überwältigt von den aktuellen Ereignis
sen. So viel war geschehen, so viel hatte sich verän
dert, dass er nichts anderes mehr fertig brachte als
weiterzugehen und einem Plan zu folgen.
Und aufs Neue musste er sich fragen, ob auch
Owen solche Empfindungen gehabt hatte, als die Im
peratorin ihn zum Gesetzlosen erklärte, ihm seinen
einigermaßen geordneten Lebenswandel raubte und
zum Flüchtigen machte.
Das Glück der Todtsteltzers. Immer nur Pech! Schließlich setzte sie der Zug an einem weiteren
leeren Bahnsteig ab, wo er stoppte. Die Tür glitt auf,
aber diesmal war Jesamine nicht bereit zu warten,
während Lewis als Erster ausstieg. Sie klammerte
sich schmerzhaft kräftig an ihn, als sie ausstiegen
und sich umsahen. Weder weitere Reisende noch
Wachleute oder Fremdenführer waren zu sehen. Le
diglich eine Reihe von Leuchtpfeilen tauchte auf,
schwebten nur Zentimeter über dem Bahnsteig und
wiesen in einen Stahltunnel ohne jedes besondere
Merkmal. Ein anderer Weg bot sich nicht, also folg
ten Lewis und Jesamine den Pfeilen, von denen im
mer neue nur wenige Fuß vor ihnen erschienen.
Die Luft war heiß und trocken und still und erfüllt
von einem Gefühl vager, aber beunruhigender Span
nung. Die Tunnelwände wirkten mit ihrer glatten
Wölbung beinahe organisch, und man glaubte durch
die Eingeweide der Stadt zu wandern. Von vorn ka
men Geräusche: lautes Seufzen und Stöhnen, als
wälzte sich ein Riese langsam im Schlaf, umgetrie
ben von schlechten Träumen. Ein Tunnel mündete in
den nächsten, und dieser wiederum in einen anderen,
und es ging fortwährend erkennbar tiefer. Bis Lewis
und Jesamine schließlich um eine scharfe Biegung
gingen und sich vor einem großen Staubmeer wieder
fanden. Es erstreckte sich scheinbar ins Grenzenlose,
zu farblos, um auch nur als richtig grau zu gelten, und
lag unter einem diffusen Himmel, der ein kühles Licht
verströmte. Unter logischen Gesichtspunkten wusste
Lewis, dass der Staubozean irgendwo enden musste,
wie sich auch irgendwo darüber eine Höhlendecke
spannte, aber die Illusion war perfekt. Er hatte das
Gefühl, einen anderen Ort, eine andere Welt betreten
zu haben. Und vielleicht war das ja auch so.
Während Lewis und Jesamine noch Hand in Hand
und Seite an Seite vor den Staubigen Ebenen der Er
innerung standen, stiegen gewaltige Türme unvermit
telt aus dem Staubmeer auf, besetzt mit barockem
Detail wie die Clantürme von einst, zeigten aber
ebenfalls nur dieses farblose Grau. Und kaum waren
die Türme in zig Meter
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