Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
Flur
entlang wartete Finn Durandal auf sie. Er und Anne
nickten einander respektvoll zu, wie zwei alte Wider
sacher, die sich unerwartet auf derselben Seite wie
derfanden. Finn blickte zu den königlichen Gemä
chern hinüber.
»Und, wie geht es ihm?«
»Weitgehend so, wie wir erwartet haben. Vor al
lem müde, denke ich.«
»Sollte ich ihn aufsuchen?«
»Ich halte das nicht für nötig. Er muss immer noch
über vieles nachdenken.«
»Und er könnte … derzeit geneigt sein, dem Send
boten die Schuld an der Botschaft zu geben?«
»Er hat Euch zum Champion ernannt, Finn. Be
gnügt Euch fürs Erste damit.« Sie betrachtete den
Durandal nachdenklich. »Die schwarze Lederrüstung
des Champions steht Euch sicherlich viel besser als
Lewis.«
Finn lächelte kurz. »Lewis hatte keinen Stil. Und
ich dachte schon immer, dass mir Schwarz steht.
Gibt es … hier irgendwo eine private Nische, wo wir
miteinander reden könnten, Anne? Ich denke, wir
müssen uns unterhalten.«
»Natürlich.« Sie führte ihn den Flur entlang und
schließlich in ein privates Empfangszimmer, dessen
Tür Anne hinter ihnen abschloss. Sie hatte das Ge
fühl, dass ihr ein Gespräch dieser Art bevorstand. Sie
setzten sich einander gegenüber, und Anne musterte
Finn mit kaltem, durchdringendem Blick. »Worüber
genau möchtet Ihr nun mit mir sprechen, Finn? Wir
waren nie Freunde oder auch nur Bundesgenossen.
Was haben wir gemeinsam, mal abgesehen davon,
dass wir beide Menschen verraten haben, die angeb
lich unsere Freunde waren?«
Finn lächelte sie an, war anscheinend völlig ent
spannt. »Ja, Anne, warum genau habt Ihr das eigent
lich getan? Warum habt Ihr mich aufgesucht und mir
die Beweise vorgelegt, die Lewis und Jesamine ver
dammen und vernichten würden?«
»Weil … sie mich enttäuscht hatten. Alle drei. Ich
hätte Helden aus ihnen gemacht! Legenden! Das größ
te Königspaar und den größten Champion, die das Im
perium je erlebt hat. Ich hätte das schaffen können.
Und dann fiel alles auseinander, nur weil Lewis und
Jesamine die Finger nicht voneinander lassen konnten.
Ich habe ihnen jede erdenkliche Chance gegeben, sie
immer wieder gewarnt. Ich habe alles aufgegeben, was
ich mir sonst wünschte, was ich brauchte, denn ich
wollte diese Legende schaffen, diesen Traum verwirk
lichen … alles nur für sie! Sie waren jedoch nicht be
reit, vergleichbare Opfer zu bringen, und warfen alles
weg, alles, was sie hätten werden und erreichen können
… meine ganze harte Arbeit … weil sie lieber schwach
sein, ihre eigenen Begierden befriedigen wollten. Da
habe ich erkannt, dass ich meine Zeit vergeudete. Dass
ich mein Leben auf Menschen vergeudete, die meiner
nicht würdig waren. Und so habe ich Euch aufgesucht,
Finn Durandal. Ihr seid ehrgeizig und lasst Euch nicht
von Kleinigkeiten ablenken. Arbeitet mit mir zusam
men, und ich mache Euch groß! Ich habe Euch schon
zum Champion gemacht. Ich könnte Euch zum König
machen, falls Ihr nur wollt.«
»Sie haben sich nichts aus Euch gemacht, nicht
wahr?«, fragte Finn. »Nicht wirklich. Wenn man be
denkt, was Ihr alles für sie tatet, und sie schenkten
Euch keine Liebe.«
»Sie haben mich nie anerkannt«, sagte Anne. »Ich
habe sie zu dem gemacht, was sie waren … und sie
haben nie wirklich einen Dreck auf mich gegeben!«
»Ich sorge dafür, dass Ihr alles erhaltet, was Ihr
Euch je gewünscht habt«, sagte Finn sanft. »Ich bin
dazu in der Lage. Ich kenne die richtigen Leute …
Ihr könnt all das sein, was Ihr je werden wolltet. Ich
bin nicht Euer Freund, wie die drei es waren, aber ich
begleiche immer meine Schulden.«
»Ja«, sagte Anne. »Wir verstehen einander. Das
wird eine großartige Partnerschaft. Wir werden Gro
ßes erreichen! … Wann habt Ihr zum ersten Mal er
kannt, dass Ihr nicht der zu sein brauchtet, den ande
re Menschen in Euch erblicken wollten? Wann habt
Ihr zum ersten Mal erkannt, dass Ihr Euch nicht auf
andere verlassen konntet, um glücklich zu sein? Dass
Ihr Euch alles selbst erringen musstet?«
Finn dachte darüber nach. »Es dauerte lang, bis es
mir klar wurde. Ich war als Paragon zunächst recht
glücklich. Und dann wurde mir allmählich deutlich,
dass die Leute mir Dinge durchgehen ließen, Dinge,
die man mir nicht hätte zubilligen dürfen, nur auf
grund dessen … wer ich war. Und ich fragte mich
langsam, womit ich noch durchkommen würde …
Trotzdem hätte ich immer noch bei dem bleiben
können, was ich tat, nämlich den
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