Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
ausgestattet wurden und sich nach einem Blitz der
Offenbarung zu den Kindern der Menschheit erklär
ten. Die letzten zweihundert Jahre hatten sie darauf
verwandt, ihre früheren bösen Taten zu bereuen. Als
der Weihnachtsmann auf sie zutrat, studierten die
beiden Roboter gerade hochkonzentriert die Bunt
glasfenster des Hofes, besonders diejenigen, die Bil
der des legendären Owen Todtsteltzer zeigten.
»Frohe Weihnachten!«, begrüßte sie der Weih
nachtsmann, und die beiden Roboter drehten sich um
und senkten höflich die ausdruckslosen Köpfe.
»Jahreszeitliche Grüße«, reagierte einer schließ
lich einen Augenblick später. »Wisst Ihr wirklich,
wer brav und wer unartig war?«
»Ich kann oft eine verdammt präzise Vermutung
wagen«, antwortete der Weihnachtsmann. »Ich denke
nicht, dass Ihr Weihnachten feiert, oder?«
»Religion«, erklärte der andere Roboter, »ist ein
faszinierendes Konzept. Wir kennen natürlich unsere
Schöpfer, und Ihr habt ja keine Ahnung, wie enttäu
schend diese Erkenntnis für uns war.«
»Wir haben gerade über die Fenster nachgedacht«,
sagte der erste Roboter. »Die Ikonen. Die Darstel
lungen.«
»Ich wusste nie recht, was Ihr in Kunst erblickt«,
sagte der Weihnachtsmann zurückhaltend.
»Fiktion«, erläuterte der zweite Roboter. »Das ist
ein faszinierendes Konzept. Mythen. Legenden. Wir
verstehen das Prinzip, aber die Wirkung und die As
soziationen sind etwas anderes. Wir sehen das nicht
so wie Ihr. Der ganze Vorgang der MythenErzeugung ist für uns kaum durchschaubar. Wir er
innern uns an den Todtsteltzer, wie er war. Und seine
Gefährten. Wir haben jederzeit Zugriff auf unsere
Echtzeit-Erinnerungen an alle Begegnungen mit die
sen Menschen. Die Personen, an die wir uns erin
nern, scheinen kaum etwas mit dem gemeinsam zu
haben, was diese Bilder heute darstellen. Warum aus
echten Menschen Fiktionen machen, wenn die echten
Menschen viel interessanter sind?«
»Mythen und Legenden sind … tröstlich«, erklärte
der Weihnachtsmann. »Sie repräsentieren ewige Prin
zipien. Die ursprünglichen Menschen mit ihren Un
vollkommenheiten und Widersprüchen wären nicht
annähernd so hilfreich für das Imperium. Helden bieten
Inspiration. Der normale Mensch … tut das nicht. Al
lerdings: Falls jemand zu Lebzeiten wirklich ein Held
und eine Legende war, dann Owen Todtsteltzer.«
»Es sind nicht Owen und seine Gefährten selbst,
auf die es ankommt«, sagte der zweite Roboter.
»Mehr auf das, was sie heute repräsentieren.«
»Was vielleicht etwas mit dem zu tun hat, wer die
se Menschen wirklich waren, vielleicht aber auch
nicht«, ergänzte der erste Roboter.
»Ihr kapiert es«, sagte der Weihnachtsmann. »Au
ßerdem wirken Helden immer viel tröstlicher, wenn
man sie aus sicherer Entfernung betrachtet. Nach al
lem, was man so hört, war Owen persönlich ein sehr
beängstigender Mann.«
»Wir erinnern uns an ihn«, sagten die KIs von
Shub, und diesmal sprachen beide Roboter wie aus
einem Mund. »Er war großartig.«
Sie gingen davon, in die Menge hinein, die sich
vor ihnen teilte. Der Weihnachtsmann blickte ihnen
nachdenklich hinterher. Die KIs von Shub waren
jetzt seit zweihundert Jahren die Freunde, Gefährten
und niemals klagenden Diener der Menschheit, aber
er fühlte sich in ihrer Gesellschaft nie ganz wohl. Der
Mann in dem Weihnachtsmannkostüm erinnerte sich
immer noch an die Millionen, die von den KIs mas
sakriert worden waren, damals, als sie noch die offi
ziellen Feinde der Menschheit gewesen waren.
Als das Wort Shub auf den Lippen der Menschen
noch ein solcher Fluch gewesen war wie heute Elf.
Der Weihnachtsmann zuckte die Achseln und ging
weiter. Man konnte nicht in der Vergangenheit leben.
Sein nächster Ansprechpartner war der Vertreter der
Klone, eine kleine, ziemlich verlassene Gestalt, die
sich an ihrem Champagnerglas festklammerte, als
fürchtete der Mann jeden Augenblick, dass jemand
kam und es ihm wegnahm. Klone waren nicht mehr
die Macht von einst. Die ganze Praxis des Klonens
war im modernen Imperium weitgehend außer Mode
gekommen, da man keine hohe Anzahl von Klonen
mehr brauchte, um die Drecksarbeit für das Imperi
um zu leisten. Besser setzte man humanoide Roboter
ein, ferngesteuert von den KIs von Shub. Harte, stu
pide und gefährliche Arbeit war für sie keine Last,
und falls ein Roboter beschädigt oder zerstört wurde,
war er leicht zu ersetzen, und niemand scherte sich
darum. Somit oblag Arbeit, wie
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