Green, Simon R. - Todtsteltzers Rückkehr
ihn. Er drückte Rose
so fest, wie er nur konnte, und ihre Lederkleidung
knarrte laut dabei, aber trotzdem schien er nicht zu
ihr durchzudringen. Ihr Blick war glasig, die Züge
schlaff, als verlöre sie allmählich das Bewusstsein.
Und so tat Brett das Einzige, was ihm einfiel, egal
wie sehr es ihn ängstigte. Er griff mit seiner ESP
nach ihr und stellte mit Bedacht die Gedankenverbindung wieder her, die seit dem ersten geistigen
Kontakt zwischen ihnen bestanden hatte. Beider Gedanken rammten mit Wucht zusammen wie zwei Seiten derselben Münze, als gehörten sie zusammen und
hätten von jeher zusammengehört. Brett nahm ihren
Schmerz und Schock auf sich und trug diese Last für
sie, soweit sie es nicht selbst vermochte. Und sie bezog von ihm, was sie an Kraft und Mut brauchte,
obwohl er selbst gar nicht geahnt hatte, dass er derlei
in sich trug. Und falls sie beide in den Gedanken des
jeweils anderen dunkle Stellen fanden, so war diese
Dunkelheit nichts im Vergleich zu dem gemeinsamen Licht, das sie erzeugten. Brett Ohnesorg und
Rose Konstantin: zwei verwundete Seelen, die einander heilten.
Endlich trennten sie die Gedankenverbindung, und
jeder fiel in den eigenen Kopf zurück. Sie halfen sich
gegenseitig auf die Beine. Brett sah die anderen an
und lächelte matt. Rose war wieder ganz die Gefasstheit, die man von ihr kannte.
»Fragt nicht«, sagte Brett.
»Ich würde es nie wagen«, sagte Jesamine.
»Was hat das Labyrinth mit Euch angestellt?«,
verfolgte Lewis beharrlich sein Interesse. Rose blickte zum Eingang des Labyrinths hinüber.
»Ich hatte nicht damit gerechnet«, sagte sie
schließlich. »Es vermittelte mir das Gefühl, ich wäre
so klein, so begrenzt. Wie eine Raupe, die für immer
in ihrem Kokon gefangen wäre. Ich konnte weder
weitergehen noch umkehren, und an Ort und Stelle
zu bleiben hat mich beinahe das Leben gekostet. Das
Labyrinth kennt kein Erbarmen. Ich wäre darin gestorben, hätte Brett mich nicht gerettet.«
»Wie fühlt Ihr Euch, Brett?«, wollte Schwejksam
wissen.
»Froh, am Leben zu sein«, knurrte Brett. »Dieses
Ding ist gefährlich. Es ist voll mit allem, was man
nie zu sehen bekommen wollte. Es kann einen auflösen und einem alles rauben, woran man zu glauben
dachte. Ich gehe dort nicht mehr hinein. Für nichts in
der Welt.«
Jesamine legte Lewis die Hand auf den Arm, damit er sie anblickte. »Du brauchst das nicht zu tun,
Lewis! Das Labyrinth entspricht keiner unserer Erwartungen. Es treibt seine Spiele mit Menschen. Du
kannst ihm nicht trauen.«
»Doch, ich muss es tun, Jes«, wandte Lewis ein.
»Darum geht es schon die ganze Zeit. Alles, was wir
durchgemacht haben, hatte zum Ziel, mich hierher zu
bringen, zu dieser Zeit an diese Stelle. Das Labyrinth
anzusehen … ist, als wäre ich zu Hause. Dorthin gehöre ich.«
»Aber ich möchte nicht, dass du hineingehst!«, sagte Jesamine verzweifelt und blickte flehend in Augen,
die gar nicht mehr zu Lewis zu gehören schienen.
»Lewis, selbst wenn dich ein Wunder lebendig zurückbringt, bist es womöglich nicht mehr du selbst!
Nicht mal die Legenden konnten vertuschen, wie sehr
das Labyrinth Owen und seine Gefährten verändert
hatte. Sie waren nie wieder die Alten.«
»Nein. Sie waren besser. Versuche nicht, mich
aufzuhalten, Jes. Freue dich für mich. Es ist meine
Pflicht und meine Bestimmung als Todtsteltzer. Ich
habe mir das immer gewünscht. Das Labyrinth wird
mich zu dem machen, was ich sein muss, um die
Menschheit zu retten. Dich eingeschlossen. Und ich
würde alles tun, um dich zu retten, Jes.«
»Vielleicht … wird mich dein neues Selbst gar
nicht mehr haben wollen«, flüsterte Jesamine.
Lewis lächelte und umfasste ihre Hände mit seinen. »Owen hat Hazel immer noch geliebt.«
»Sie waren beide im Labyrinth.«
»Dann begleite mich hinein.«
Jesamine entriss ihm ihre Hände. »Nein. Verlange
das nicht von mir, Lewis!«
»Ich werde zwischen dir und jedem Leid stehen.
Und ich werde eher das Labyrinth zerreißen, als zu
dulden, dass es dir wehtut.«
»Nur ein Todtsteltzer kann sich sicher im Labyrinth des Wahnsinns bewegen«, sagte Schwejksam.
»Zum Teufel damit!«, wehrte Lewis ab. »Sie
kommt mit.«
Lewis Todtsteltzer und Jesamine Blume betraten
das Labyrinth des Wahnsinns Hand in Hand, damit
sie nicht getrennt werden konnten. Die glänzenden
Metallwände wechselten sich vor ihnen ab wie bedächtige Wellen eines endlosen Meeres. Es war bitterkalt und roch nach Rosen und Eisen. Sie
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