Green, Simon R. - Todtsteltzers Rückkehr
wünschte wirklich, Ihr tätet es
nicht. Bitte fangt jetzt nicht irgendwas an! Oder falls
Ihr müsst, warnt mich beizeiten vor, damit ich einen
guten Vorsprung erhalte.«
»Ich frage mich, wie sie wohl schmecken«, sagte
Samstag, und Brett funkelte ihn an.
»Ermutigt sie nicht auch noch! Ihr seid beinahe so
schlimm wie sie. Bin ich der Einzige hier, dem auffällt, dass sie uns zahlenmäßig hundert zu eins überlegen sind? Und sie sind groß! Richtig groß! Sie haben wahrscheinlich schon gefährlichere Gegner als
uns wieder ausgeschissen. Ich spüre, wie ich wieder
Kopfschmerzen kriege.« Er sah sich an, wie die Ashrai über ihnen langsam Kreise zogen. »Wie kann etwas, was so groß und schwer ist, überhaupt in der
Luft bleiben? Mir ist egal, was sie für eine Spannweite haben; nichts von solcher Massivität gehört
mitten in die Luft, besonders nicht, wenn ich darunter stehe.«
»Beruhigt Euch, Brett«, mahnte Lewis. »Ihr
schwatzt sinnloses Zeug. Die Ashrai fliegen mit Hilfe ihrer Esperkraft. Vielleicht können sie ja doch ungeschützt durch den Weltraum fliegen … Es sind
eindeutig machtvolle Kreaturen.«
»Das Lied ist wieder da«, sagte Jesamine, die den
Hals fast schmerzhaft zurückbog, während sie voller
Bewunderung zum Himmel hinaufblickte. »Es ist
hier so viel deutlicher zu hören. Es sind nicht einfach
die Bäume. Es sind die Ashrai. Die Ashrai und der
Wald, die gemeinsam singen, aneinander gebunden.
Hört Ihr es nicht?«
Keiner sagte etwas, weil alle den Eindruck hatten,
dass sie etwas hörten. Jesamine öffnete den Mund
und stimmte ein zartes, beschwingtes Lied an, älter
als das Goldene Zeitalter, älter als das Zeitalter der
Helden, aus den Tagen des Ersten Imperiums, als die
Menschheit das erste Mal zu den Sternen aufbrach.
Der Text war in Vergessenheit geraten, aber die Melodie blieb, eine alte, tief bewegende Erinnerung an
lange zurückliegende Tage, als ein Mensch zu sein
noch bedeutete, an einem großen Abenteuer teilzuhaben. Die Worte waren vergessen, nicht jedoch die
Bedeutung. Tief im Gebein und in der Seele erinnerte sich die Menschheit.
Jesamine sang, und die Ashrai fielen ein. Ihre gewaltigen Stimmen erfüllten die Luft; fremdartige
Harmonien mischten sich in Jesamines Gesang und
verstärkten ihn, ohne ihn zu übertönen. Das Lied erfüllte die Lichtung – eine Feier des Lebens, eine
Preisung der Daseinsfreude und Ausdruck des drängenden Bedürfnisses, eine Bedeutung dafür zu finden. Jesamine sang mit verzückter Miene, und die
Ashrai sangen mit ihr. Lewis starrte seine Geliebte
an, benommen von der Kraft ihrer Stimme. Ihm
schien, als bewegte er sich in Gegenwart von etwas
Heiligem. Jesamine hörte schließlich auf zu singen,
und die Ashrai taten es ebenfalls. Jesamine senkte
langsam den Kopf; Schweiß tropfte ihr vom Gesicht,
und sie streckte eine zitternde Hand nach Lewis aus.
Er nahm Jesamine in die Arme, schenkte ihr seine
Kraft, und sie klammerte sich an ihn.
»Oh Lewis«, sagte sie schließlich und drückte ihm
das Gesicht an die Brust. »Ich denke, ich verstehe
jetzt endlich, was andere Menschen fühlen, wenn ich
singe. Das war … erstaunlich.«
»Woher wusstest du, dass zu singen jetzt das Richtige war?«, wollte Lewis wissen.
»Ich bin nicht der erste Mensch, der zusammen
mit den Ashrai gesungen hat«, sagte Jesamine. »Vor
zweihundert Jahren hat Diana Vertue es schon getan.
Ehe aus ihr Johana Wahn wurde. Es war genau dieses Lied, das sie anstimmte. Es schwingt nach wie
vor hier in der Luft und den Bäumen und den Ashrai.
Sie haben es nie vergessen. Sieh sie dir an, Lewis!
Wenigstens wissen wir jetzt, dass einige der alten
Legenden wahr sind. Das sind die Drachen, und sie
sind herrlich …«
Lewis hielt sie in den Armen und sagte nichts. Die
Ashrai waren gewiss eindrucksvoll und mächtig,
aber es erforderte schon mehr als eine hübsche Weise, um ihn zu überzeugen, dass sie Freunde waren.
Hunderte Menschen waren umgekommen, nur weil
sie gewagt hatten, Unseeli aufzusuchen. Und wiewohl die Ashrai zweifellos machtvoll waren, sahen
sie in seinen Augen hässlich wie die Sünde aus. Und
obendrein verdammt gefährlich. Er spannte sich an,
als sich ein einzelner Ashrai aus dem am Himmel
kreisenden Schwarm löste und zu den Besuchern herabstieß. Lewis schob Jesamine nicht weg, aber er
drehte sie herum, damit er leichter nach seiner Waffe
greifen konnte. Der Ashrai wurde immer größer,
während er zu ihnen herabsank. Lewis
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