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Gregor und der Spiegel der Wahrheit

Gregor und der Spiegel der Wahrheit

Titel: Gregor und der Spiegel der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Collins
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alles herausnehmen, ohne dass dir etwas zustößt. Du hieltst dich für unbesiegbar. Weil du ein Wüter bist. Tja, jetzt merkst du mal, wie schwach du in Wirklichkeit bist.«
    »Hör auf, Ripred, der Junge hat es so schon schwer genug«, hörte Gregor Hamnet sagen.
    »Er muss einsehen, wie nah er dem Tod war!«, sagte Ripred wütend.
    »Das weiß er auch«, sagte Hamnet entschieden. »Er weiß, dass er unüberlegt gehandelt hat. Wer von uns hat sich dessen noch nicht schuldig gemacht? Du etwa? Ich etwa?«
    Glücklicherweise sagte Ripred nichts mehr. Doch Gregor wusste, dass in Ripreds Worten ein Körnchen Wahrheit lag. Zwar hatte Gregor sich nicht für unbesiegbar gehalten, doch da er wusste, dass er ein Wüter war, hatte er nicht so große Angst gehabt, sich in Gefahr zu begeben. Manchmal fiel es ihm schwer, den Wüter in sich abzuschalten. Er hatte nicht gewusst, dass er ihn auch im Stich lassen konnte, wenn er ihn brauchte. Dieses Bewusstsein erschütterte seine Zuversicht und gab ihm ein Gefühl der Hilflosigkeit.
    Obwohl er sich kaum konzentrieren konnte, versuchte er sich zu erinnern, wann er sich in den Wüter verwandelt hatte und wann nicht. Im Überland war es kein Thema, denn da passte er immer auf, nicht in irgendwelche Kämpfe verwickelt zu werden. Als Ripred ihn im Tunnel niedergeschlagen hatte, war der Wüter nicht zum Vorschein gekommen. Aber das war auch so schnell gegangen, und dann hatte Ripred sich zu erkennen gegeben und Gregor hatte sich nicht mehr bedroht gefühlt. Als die infizierte Fledermaus in die Arena gefallen war, gab es zwar eine Gefahr, aber abgesehen von den Flöhen war da niemand gewesen, den er hätte bekämpfen können. Und dann die Situation mit den Fröschen. Da hatte er gewusst, dass Boots in Gefahr war. Er hatte Zeit gehabt, die Bedrohung wahrzunehmen. Die Pflanzen dagegen hatten so schnell angegriffen … War das die Antwort? Konnte er nur zum Wüter werden, wenn er Zeit hatte, eine Bedrohung als solche zu erkennen? Nein, nein, denn als er sich zum ersten Mal in einen Wüter verwandelt hatte, waren nur mit roter Farbe gefüllte Wachsbälle auf ihn zugeflogen. Die waren überhaupt nicht gefährlich gewesen.
    Es gibt keine Gesetzmäßigkeit. Das war der letzte klare Gedanke, den Gregor für eine ganze Zeit fassen konnte. Danach kam ein stundenlanger, vielleicht tagelanger Nebel aus Schmerz, Angst und Orientierungslosigkeit. Gehen. Liegen, das Gesicht ins Laub gepresst, höllische Schmerzen in den Füßen, Hamnet, der ihm die blutenden Lippen mit Öl einrieb und ihm die Zehen verband. Boots, die weinte, wimmerte, dann gar keinen Laut mehr von sich gab, nur schlaff auf Temps Rücken lag, und niemand konnte ihr helfen. Entsetzlicher Durst, Träume von Wasser, von eisigen weißen Gletschern, die unerreichbar blieben. Dann gehen … wieder gehen … geschwollene Zunge, schmerzender Kopf,rasendes Herz, elendes Gefühl im Magen. Zusammenbruch zwischen den Lianen und Boots so schlaff auf Temps Rücken. Boots … schlafend … bewusstlos … tot? Nein, nicht tot, ihre Brust hob und senkte sich rasch, ihre Lippen aufgesprungen, glänzend vom Öl, bläulich verfärbt. Dann Ripreds Stimme, heiser und schwach. »Ich rieche sauberes Wasser …«
    Irgendwie musste Gregor sich aufgerappelt haben. Musste mit den brennenden Fleischklumpen, die seine Füße waren, Ripred und Lapblood in den Dschungel gefolgt sein. Er hörte das Wasser … Nicht das ruhige, nervige Gluckern der Dschungelflüsse, das sie in den letzten Tagen gemartert hatte … sondern ein rauschendes, spritzendes Geräusch. Die Ratten rannten jetzt, Gregor humpelte hinterher. Er sah das Wasser, das aus einem Fels hervorbrach und in einen Tümpel hinabstürzte, sah einen Sandstrand … Wasser … aber dann …
    »Zurück! Zurück!«, schrie Ripred warnend.
    Gregor sah Ripred und Lapblood zappeln, als würde der Sand unter ihnen schmelzen. Wie ein Roboter bewegte er sich vorwärts, obwohl er Ripred hörte, der ihn aufzuhalten und zur Umkehr zu bewegen versuchte. Seine Füße waren zu schwer, er konnte sie nicht anheben, und da merkte er, dass er bis zu den Knöcheln in etwas stand. Er schaute nach unten und sah tatenlos zu, wie er bis zu den Knien versank, ehe ein Adrenalinstoß sein Gehirn wieder in Gang setzte.
    »Treibsand!«, sagte er und versuchte verzweifelt sich zubefreien. Es war unmöglich. Er war schon zu tief eingesunken.
    »Hör auf zu strampeln!«, befahl Ripred. »Sonst sinkst du nur noch schneller

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