Greife nie in ein fallendes Messer
Offensichtlich hatte ich es nicht vermocht, Kleinanleger vor unsinniger Hysterie zu bewahren – weder in der Euphorie noch in der Verzweiflung.
Doch Ende 1998 war ich von diesen deprimierenden späteren Einsichten noch weit entfernt. Die Geburt von Euroland am 1. Januar 1999 würde den Trend zur Aktie meiner Meinung nach beschleunigen, denn von diesem Tag an konnten sich die Anleger auf einem riesigen europäischen Markt ohne Wechselkursrisiken und mit verbesserter Transparenz bewegen. Nach diesem Stichtag gäbe es nicht mehr, wie bisher, eine Vielzahl einzelner nationaler Märkte in Europa; spätestens zu diesem Termin würde der Zug in Richtung der Märkte für europäische Branchenwerte starten. Und in dem Zug säßen in der ersten Klasse unsere europäischen Nachbarn, die entschiedener und wohl auch früher als die deutschen Anleger die Aktie als Instrument der Vermögensbildung entdeckt hatten. Da sich in den letzten Jahren vor allem deutsche Industriekonzerne einer rigiden Fitnesskur für das kommende Europa unterworfen hatten, sollten deutsche Unternehmen in der Gunst der europäischen Anleger auf den vorderen Tabellenplätzen stehen, wenn es künftig galt, innerhalb einer erfolgversprechenden Branche den Favoriten auszuwählen.
Von einem volkswirtschaftlichen Analysten der Frankfurter DG-Bank hatte ich im Frühsommer 1998 eine statistische Untersuchung über die Renditeentwicklungen in Deutschland in den letzten 30 Jahren erhalten. Danach hätte ein Anleger, der von 1966 bis 1996 sein Geld in deutsche Standardwerte investiert hätte, trotz all der Kurseinbrüche in den Jahren 1987, 1989, 1990 und 1991 und ohne Berücksichtigung der Steuer, eine jährliche Rendite von mehr als 10 Prozent erzielt. Eine entsprechende Anlage in deutsche Festverzinsliche |226| hätte dagegen pro Jahr nur etwas mehr als 7 Prozent gebracht.
Abbildung 8: Entwicklung des DAX vom 1. 1. 1998 bis zum 31. 12. 1998
Solche Statistiken und Modellrechnungen sagen natürlich wenig über künftige Renditen aus. Kurzfristige unvorhersehbare Kursrisiken, besonders bei einzelnen Werten, werden immer wieder auftreten. Diese Rückschau auf die letzten 30 Jahre mag aber ein Hinweis darauf sein, wie sehr sich die Aktienanlage lohnen kann, wenn man sie mit der Elle einer langfristigen Strategie misst. Selbst das aufregende Börsenjahr 1998 bescherte dem DAX bei einem Schlussstand von 5 006 einen »Gewinn« von rund 18 Prozent (vgl. Abbildung 8).
Ich möchte aber nicht missverstanden werden: Die Langfrist-Strategie ist kein Freifahrschein für jahrelanges Nichtstun. Am Anfang einer jeden Überlegung muss die fundierte eigene Meinung zum betreffenden Unternehmen, zur Branche oder zum gesamten wirtschaftlichen Umfeld stehen. Nur dann, wenn sich die Voraussetzungen nicht grundlegend ändern, ist es sinnvoll, auf seinen Beständen sitzen zu bleiben, gleichviel, was vorbeiziehende Techniker oder |227| Chartanalysten mit ihren Widerstands- oder Unterstützungslinien an – meistens kurzfristig ausgerichteten – Ratschlägen parat haben.
Kommt es dagegen zu entscheidenden Korrekturen der fundamentalen Daten, muss auch der langfristig orientierte Anleger entsprechend reagieren und sein Engagement neu ordnen.
Angesichts der täglichen Aufgeregtheiten, vor allem im politischen Deutschland, wird es dabei die schwerste Aufgabe des Anlegers sein, den Wortmüll vom Wichtigen zu trennen, andernfalls läuft er Gefahr, der falschen Fährte zu folgen.
Nicht ohne Grund lautet ein wichtiger Satz an der Börse: »Information gleich ruination.«
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Kapitel 11: Steigende Zinsen sind Gift für Aktien. Und die Mehrheit hat doch Recht!
Schlimmer hätte es für Telekom-Chef Ron Sommer an diesem Montag, dem 17. April 2000, kaum kommen können. Ausgerechnet zum Start seiner Internet-Tochter T-Online am Neuen Markt meldeten die Hightech-Werte aus dem Internetbereich »Land unter«. Weltweit waren in den letzten Tagen die erfolgsverwöhnten Lieblinge der Anleger immer schneller ins Rutschen geraten. An der Leitbörse aller Hightech-Enthusiasten, der amerikanischen Nasdaq, hatten die Spekulanten, aufgeschreckt von Regierungsattacken gegen den Softwareriesen Microsoft und allmählich zermürbt von den grassierenden Zinsängsten in den USA, schon vor dem Wochenende das Licht ausgeknipst und ihre stattlichen Gewinne aus den letzten Monaten eingesackt. Sollten in der nächsten Zeit die Zinsen weltweit weiter anziehen, würde das Risiko einer Aktienanlage,
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