Greife nie in ein fallendes Messer
Zeiten ins Haus. Weiterhin steigende Preise und ein überbordendes |267| Haushaltsdefizit mussten dann in der letzten Konsequenz zu einer dauerhaften Fortsetzung der gegenwärtigen Geldpolitik führen. Eine andauernde Zinserhöhungswelle, die 2006 womöglich noch weit über den 5-Prozent-Pegelstand schwappen konnte, das war ein Albtraum für jeden amerikanischen Konsumenten und für die Wirtschaft. Ganz zu schweigen von den Ängsten der Börsianer.
Doch diese Gefahr sah ich zum Jahresbeginn nicht. Noch gab es in den USA keine gravierende Inflation. Der Stellenzuwachs war zwar beständig, aber nicht überschäumend. Und immer noch suchten knapp acht Millionen Menschen in den USA eine Arbeit. Das entsprach einer Arbeitslosenquote von etwa 5,4 Prozent – mit leicht steigender Tendenz, weil sich wieder mehr Amerikaner mit der Hoffnung auf einen Arbeitsplatz als arbeitslos zurückmeldeten. Verständlich, dass bei diesem vermehrten Arbeitsangebot die durchschnittlichen Stundenlöhne von Industriearbeitern trotz des Stellenzuwachses kaum gestiegen waren. Eine Überhitzung der Lohnentwicklung lag in weiter Ferne.
Aber was war mit den Rohstoffpreisen? Was war mit dem Öl, mit den Industriemetallen? Die Preise stiegen zwar, doch dies wurde von den Marktbeobachtern in den USA als Beweis für das Florieren der Wirtschaft und nicht als inflationäre Bedrohung verstanden. Nach wie vor setzten meine Gesprächspartner auf einen Aufschwung in den USA. »Der Konsum brummt, und mit ihm die ganze Wirtschaft«, hieß es immer wieder. »Solange die Immobilienpreise in den Himmel wachsen und das Geld zumindest relativ billig bleibt, leben wir in der besten aller Börsenwelten.«
Doch jede gute Meldung aus der amerikanischen Konjunkturszene vertiefte die Sorgenfalten in den Gesichtern der Finanzmarktbeobachter in den USA. Steigende Verkaufszahlen bei neuen Immobilien, wachsendes Verbrauchervertrauen, die Kapazitätsauslastung in der Industrie bei über 80 Prozent, nach oben korrigierte Schätzungen des Wirtschaftswachstums. Alles war plötzlich kein Grund mehr zum Jubeln, im Gegenteil! Eine verrückte Welt. Konnten doch die Daten von der Notenbank als Beweis genutzt werden für die Hartleibigkeit der amerikanischen Konsumenten, die sich in ihrem Konsumrausch von nichts abschrecken ließen, weder von steigenden Zinsen noch |268| von explodierenden Benzinpreisen oder von Hurrikans, die ganze Küstenregionen verwüsteten. Auch aus Washington waren keine Rauchzeichen zu sehen, die einen wirksamen Abbau des Haushaltsdefizits andeuteten. Also musste doch die Notenbank nachlegen, um der Inflation die Zähne zu ziehen!
Dabei sei es nun wirklich genug mit diesen ständigen Zinsanhebungen, jammerten die Börsianer kurz nach Bernankes Dienstantritt. Und sie hatten aus meiner Sicht sogar Recht. Denn Zinsänderungen brauchen grundsätzlich ihre Zeit, bis sie ins Bewusstsein der Konsumenten gesickert sind und dort wirken. In der Regel werden ihre Auswirkungen auf die Finanzmärkte und das Verhalten der Verbraucher erst nach einem Jahr oder noch später spürbar.
Auch ohne weitere Zinserhöhungen, so die Bankanalysten in den USA und in Europa, würde das Wachstum der amerikanischen Wirtschaft an Schwung verlieren. Dafür sorge schon der starke US-Dollar, der von der wachsenden Kluft zwischen den amerikanischen Leitzinsen auf der einen Seite und den europäischen und japanischen auf der anderen Seite profitiere, der aber zugleich das Exportgeschäft der amerikanischen Unternehmen erschwere. Auch die explosive Überhitzung auf dem Immobilienmarkt baue sich angesichts der gestiegenen Zinsen langsam ab. Vieles spreche also schon aufgrund der bisherigen Zinsmaßnahmen für die Rückkehr der US-Wirtschaft zur Normalität.
Kein Überschwang mehr in den Kursen, aber auch kein Absturz. Seitwärtsbewegung nennen das die Börsianer. Auf absehbare Zeit hätten amerikanische Aktien kaum noch die Kraft für größere Rekordsprünge. Nach meiner Ansicht war damit an der Wall Street die Luft raus. Viel Geld war dort nicht mehr zu verdienen, dafür aber in Europa und Asien – zumindest solange die amerikanische Währung von den höheren US-Zinsen gegenüber der Konkurrenz aus Europa und Asien profitierte. Logisch also, dass die amerikanischen Anleger mit ihrem starken Dollar schon seit Jahren ihr Glück in diesen Regionen suchten und dabei vor allem auf die Mauerblümchenmärkte in Deutschland und Japan schauten.
Diese Argumentation schien mir schlüssig und
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