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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedhelm Busch
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hatte es nur wenige zaghafte Aktionen gegeben. In dem Augenblick aber, in dem sich die demokratisch geführten westlichen Länder anschickten, dem irakischen Diktator seine Beute wieder zu entreißen, schon um Nachahmer abzuschrecken, entdeckten Tausende von Deutschen ihre Abneigung gegen den Krieg und einige auch wohl gegenüber den Amerikanern. Das Verständnis der Börsianer für diese »Betttuch-Pazifisten«, wie sie auf dem Parkett genannt wurden, hielt sich in engen Grenzen. Sie wären halt mit ihrem Einsatz gegen den Krieg in Nahost glaubwürdiger gewesen, wenn sie genauso lautstark und gut organisiert gegen den Überfall der Iraker protestiert hätten.
     
    Am 15. Januar, dem Stichtag, den die UNO für den bedingungslosen Abzug der irakischen Truppen aus Kuwait gesetzt hatte, herrschte an der Börse in Frankfurt gespannte Ruhe. Zwar rutschte der DAX für ein paar Minuten unter die alte Tiefstmarke von 1 320, aber zum Börsenschluss setzten die ersten Rückkäufe ein und hoben ihn wieder über diese Hürde. In den Büros der Banken und bei uns in der Redaktion wurden alle möglichen Entwicklungen durchgespielt. Bei Ablauf des Ultimatums ohne den Rückzug der Iraker, mit dem im Grunde keiner mehr rechnete, konnte es mit dem Beginn militärischer Aktionen zu einem starken Kursrutsch kommen. Als Voraussetzung dafür galten negative Meldungen aus der Golfregion, die auch als Gerücht schon einen furchtbaren Crash auslösen konnten. Bei jedem Gerücht war also höchste Vorsicht geboten.
    Kollegen aus New York berichteten von ungewöhnlichen Schutzvorkehrungen vor dem Börsengebäude in der Wall Street. Aus Angst vor Terroristen habe man Barrikaden aufgebaut, an der New Yorker Rohstoffbörse habe man die Besuchergalerie geschlossen.
    Die Crash-Erfahrungen der Jahre 1987 und 1989 wurden diskutiert. Wie tief würde der DAX unter die Unterstützungslinie von |80| 1 320 fallen können? Was würden in einem solchen Fall die Fonds und Banken machen? Würden sie, wie 1987, verkaufen oder, wie 1989, die Hand aufhalten und kaufen? Würde es überhaupt einen Crash geben? Ein Crash kommt schließlich unerwartet und nicht mit einer wochenlangen Vorankündigung. Und was wäre, wenn mit dem Gegenschlag der Amerikaner eine Kaufwelle einsetzte, getreu dem Motto »Kaufen, wenn die Kanonen donnern«? Die Meinungen gingen bei uns ziemlich stark auseinander, wie wahrscheinlich auch in den Büros der Börsianer.
    Der Tag des Ultimatums verstrich, ohne dass etwas geschah. Saddam Hussein blieb, wie angekündigt, mit seinen Besatzungstruppen in Kuwait. Ebenfalls keine Bewegung bei den alliierten Truppen unter Führung der Amerikaner. Auch am Tag danach gab es keine aufregenden Meldungen aus der Golfregion. Die Börse schien wie gelähmt. Irgendwann in den nächsten Stunden musste es passieren, das glaubten wir alle zu wissen. Nur was, das wusste keiner.
     
    In den frühen Morgenstunden des 17. Januar dann die ersten Meldungen aus dem Radio über den Beginn der Aktion »Wüstensturm«: Die alliierten Streitkräfte greifen die irakischen Truppen an. Von einer Gegenwehr der gefürchteten Elitesoldaten des irakischen Diktators wird nichts berichtet. Die Angriffe der alliierten Truppen laufen offenbar reibungslos. Amerikanische Flugzeuge bombardieren wichtige strategische Ziele in Bagdad. Auch hier keine Nachrichten über eine irakische Gegenwehr.
    Die internationalen Devisenmärkte reagieren auf den Beginn der militärischen Aktion zunächst aufgeregt mit einem bis auf 1,55 D-Mark steigenden US-Dollar. Diesen Pawlow’schen Reflex kann man immer wieder an den internationalen Finanzmärkten beobachten: Entsteht irgendwo auf dieser Welt ein Krisenherd, steigt der US-Dollar, weil er weltweit als »sicherer Hafen« gilt. Die Flucht in den US-Dollar ebbt aber schlagartig ab, wenn sich die Krise tatsächlich oder vermeintlich auflöst. Einen dauerhaften Trend für einen steigenden US-Dollar darf man aus einer derartigen kurzfristigen Bewegung nicht ableiten.
    Als sich die Aktion »Wüstensturm« offenbar ohne größere Probleme |81| entwickelt, fällt der US-Dollar zwar prompt wieder zurück auf 1,52 D-Mark, doch dies kann die Finanzmärkte in ihrer Begeisterung nicht mehr stoppen, zumal auch der Preis für Rohöl blitzschnell von 30 auf 20 US-Dollar pro Barrel absackt. Meine ersten Telefongespräche am frühen Donnerstag bestätigen diesen Eindruck: Überall herrscht Haussestimmung. Deutsche Analysten, die noch wenige Tage zuvor wegen der

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