Greife nie in ein fallendes Messer
Management, einem der ganz großen Spieler auf den Terminmärkten dieser Welt, schwere Verluste erlitten, das eine oder andere Institut werde dies auch bald vor der internationalen Presse der Öffentlichkeit kundtun müssen.
Eine Pleitewelle im internationalen Bankengeschäft in diesem Augenblick, das würde die Börsen weltweit in den Keller treiben. Überall auf dem Parkett versuchen die Makler und Händler, noch vor der sich abzeichnenden Katastrophe ihre deutschen Standardwerte loszuwerden. Vor allem Finanzwerte, also Banken und Versicherungstitel, geraten auf die Rutsche. Wer weiß schon genau, wer in welchem Umfang in diesen undurchschaubaren Termingeschäften der Hedgefonds engagiert ist! Die Verkaufslawine donnert mit ohrenbetäubendem Lärm weiter zu Tal. Aber wo ist die Talsohle? Bei 3 800 oder erst bei 3 600?
Doch plötzlich, zwischen zwei Fernseh-Schaltungen auf n-tv, sinkt der Geräuschpegel. Schon auf der Treppe hinunter zum Börsenparkett höre ich durch Zurufe, dass es überhaupt keine Pressekonferenzen geben werde. Dementi! Falsche Gerüchte! Kein, zumindest kein übermäßiges oder gar existenzgefährdendes Engagement deutscher Banken und Versicherungen bei Hedgefonds. Also Entwarnung! Wirklich? Die Skepsis bleibt. Allerdings gibt es Anzeichen für einen freundlichen Start an der Wall Street. So schlimm scheint es also auch in den USA nicht zu werden, zumindest nicht heute! Wer eben noch wie ein aufgescheuchtes Huhn wild übers Parkett gerannt ist, steht nun völlig entspannt an der Schranke, hat auf einmal Zeit, darüber nachzudenken, was denn da mit den Kursen passiert ist.
Es könnte tatsächlich die reinigende Panik gewesen sein. Aber offensichtlich nicht der erwartete Ausverkauf der Kleinanleger, wohl eher die Panik der Profis, denn trotz des Geschreis und der Rennerei sind |106| die Umsätze auf dem Parkett bisher gering gewesen. Die Kurseinbrüche sind also offenbar weniger durch einen allgemeinen Verkaufsdruck als vielmehr durch das totale Desinteresse potenzieller Käufer entstanden.
Doch was auch immer die Gründe für diesen Crash gewesen sein mögen, die Kurse sind im Keller gelandet, so wie von den meisten erwartet. »Jetzt, bei 3 860 kaufen?«, frage ich daher die Börsianer, die mir Tage vorher noch versichert hatten, unter 4 000 unbedingt einsteigen zu wollen.
»Auf keinen Fall«, wehren sie erschrocken ab, »die Spekulationsblase ist zwar geplatzt, doch angesichts der weltweiten Krisen sind die Kurse in Deutschland immer noch zu hoch. 3 600 sind durchaus noch möglich. Vielleicht sehen wir den DAX sogar noch mit einer Zwei beginnen.«
Eine Erfahrung, die ich immer wieder mache: Ein Kauflimit, das man vorher mutig und entschlossen gesetzt hat, wird, wenn der Kurs dann tatsächlich bis auf dieses Limit gefallen ist, storniert. »Bei Erreichen streichen«, spottet man auf dem Parkett.
Vor zwei Wochen bei 4 800 aus der Sicht vieler Anleger noch ein günstiger Kauf, wird nun der DAX 1 000 Punkte tiefer nicht einmal mit der Zange angefasst. Für mich ist dies ein erster Hinweis auf ein bevorstehendes Ende der Abwärtsbewegung. Ein derartig starker Pessimismus ist ein sicheres Indiz für eine baldige Trendwende. Nun sind auch die letzten Optimisten unter den Anlegern abgeschüttelt worden, jetzt sollte es eigentlich nach oben gehen. »Wenn die Nacht am dunkelsten, ist der Tag sehr nahe«, weiß die Börse. Sie weiß aber leider nicht, wann dieser Zeitpunkt erreicht ist. Nur wenige Mutige wie der Börsenmakler Enno Reepen, seit mehr als zehn Jahren einer meiner Ratgeber auf dem Parkett, nehmen an einem Tag wie heute vor der Kamera das Wort »Kaufen« in den Mund. Die schmerzhaften Blessuren, die wir uns alle in der Euphorie der ersten sechs Monate zugezogen hatten, sind noch zu frisch.
»Die Börse ist keine Einbahnstraße.« Dieser Satz sollte im Stammbuch eines jeden Anlegers in großen Lettern fett gedruckt auf der ersten Seite stehen. Ein wichtiger Satz, der aber in Zeiten lang anhaltender |107| Kursgewinne mit tödlicher Sicherheit überblättert wird. Man hat ja schließlich seine gegenteiligen Erfahrungen.
Bis zum 28. Oktober hatten sich im Vorjahr die Kurse in einer beispiellosen Rekordjagd nur noch in eine Richtung bewegt, und zwar nach oben. An diesem Tag wurde der DAX von einem schweren Sturm im fernen Südostasien auf unter 3 600 geweht, und mancher Anleger rief sich schon voller Sorge um seine wundervollen Kursgewinne diesen bedenkenswerten Satz ins Gedächtnis
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