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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedhelm Busch
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zurück. Hätte man doch nur vorher die Aufwärtsbewegung zum Verkauf genutzt. Doch nur wenige Tage später erwies sich der Oktober-Crash als Falle für pessimistische Bären, eine plötzliche Böe, mehr nicht. Der DAX setzte völlig unbeeindruckt seinen Weg fort in Richtung 4 000. Und einige Wochen später feierte die Frankfurter Börse die Erstbesteigung des Viertausender-Gipfels mit einem mächtigen Kuchen und viel Sekt. Nicht wenige Kleinanleger werden danach, mit Blick auf die siebenjährige Aufwärtsbewegung an der Wall Street, den Börsenverkehrsfunk in ihrem Gehirn mit seiner Warnung vor plötzlichem Gegenverkehr bei den Kursen endgültig abgeschaltet haben.
    Das Feiern nahm kein Ende. Der Fünftausender wurde im Handstreich genommen. Und wieder gab es Sekt und Kuchen, der allerdings einigen Profis auf dem Parkett schon etwas schwerer im Magen lag. Die ersten Makler klagten über ein drückendes Völlegefühl, das jedoch durch den herrlich freien Blick auf die nächsten Gipfel in nächster Nähe verdrängt wurde. Der DAX bei 6 000, 7 000, warum nicht in einigen Jahren bei 10 000?
    Mit jedem neuen Rekord stieg die Begeisterung der Kleinanleger. Überschüttet mit den Geldern der privaten Kunden, hechelten die großen Aktien-Publikumsfonds hinterher. Welcher Fondsmanager wollte sich schon bei der bevorstehenden Halbjahresbilanz dem Vorwurf ausgesetzt sehen, er habe aus Angst vor einem Rückschlag diese Hausse an der Aktienbörse verschlafen und zu viel von den Zuflüssen aus dem Kreis der Anleger am Renten- oder Geldmarkt geparkt, statt ohne Wenn und Aber auf die Aktie zu setzen?
    Mit diesem grundsätzlichen Problem plagen sich viele Fondsstrategen ab. Die Zuflüsse aus dem Kundenkreis steigen mit der Aufwärtsbewegung an der Börse. Werden sie entsprechend der Erwartungen |108| der Anleger am Aktienmarkt investiert, bekommen allein dadurch die Kurse einen zusätzlichen Kick nach oben, was wiederum zu neuen Zuflüssen führt, die ebenfalls angelegt werden müssen. Bei stark fallenden Kursen und deutlich steigenden Rückflüssen der Anteile sind dagegen die Manager gezwungen, in die fallenden Kurse hinein zu verkaufen, auch wenn sie dies nicht für unbedingt richtig halten.
    Der häufig erhobene Vorwurf, die Fonds verhielten sich mit ihrer Anlagestrategie zyklisch und würden dadurch immer nur den jeweiligen Trend verstärken, statt geschickt gegen den Strom zu schwimmen, verkennt diese Marktmechanismen. Durch den offenkundigen Zwang, in immer kürzeren Zeitabständen ein besseres Ergebnis als die Mitbewerber ausweisen zu müssen, setzen sich die Investmentfonds zusätzlich einem Erfolgsdruck aus, der nicht immer dem Langfrist-Denken des Investmentsparens dienlich ist. Angesichts dieses kurzatmigen Performance-Wettkampfs der großen Publikumsfonds um Halbjahrestrophäen frage ich mich, warum es in den Tageszeitungen eigentlich noch keine Fonds-Bundesligatabellen mit den Monats-, Wochenoder Tagesbesten gibt. Ich halte diese Entwicklung für problematisch, genauso wie die Überbetonung des Shareholder-Value-Gedankens. Ich bin nicht davon überzeugt, dass eine Vermögensbildung über das Aktiensparen als olympische Disziplin verstanden werden sollte.
     
    Als Börsenjournalist unterliege ich glücklicherweise nicht diesen Zwängen der Fondsmanager. Doch als ich Anfang Juli in meiner Reportage auf mögliche schwere Wetter in Südostasien hinwies, die auf Umwegen über Amerika auch unsere Wirtschaft erreichen könnten, auf das Chaos in Russland oder auf die Gefahr von Kurseinbrüchen bei deutschen Versorgerwerten nach einem sehr wahrscheinlichen Sieg einer rot-grünen Koalition bei der bevorstehenden Bundestagswahl, da stand ich plötzlich im Kreuzfeuer der Kritik vieler Anleger, die mir am Telefon oder per Fax vorwarfen, als Wahlkämpfer für die amtierende Regierungskoalition unnötige Ängste vor einem rot-grünen Ausstieg aus der Kernenergie zu schüren. »Sie reden die schönen Kurse kaputt«, warf mir ein langjähriger Zuschauer aus Österreich vor, »wahrscheinlich haben Sie selbst keine eigenen Bestände und hoffen auf niedrigere Kurse, um billig einsteigen zu können!«
    |109| Ich steckte in einer gewissen Klemme. Zwar glaubte ich nicht an einen völligen Einbruch unserer Konjunktur, zumal ich nach Gesprächen mit Volkswirten und Analysten zu dem Schluss gekommen war, dass die Südostasienkrise die deutsche Wirtschaft mit dem kommenden europäischen Binnenmarkt im Rücken nicht in dem Maße treffen würde

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