Greife nie in ein fallendes Messer
Anleger, Investmentfonds oder auch Lebensversicherungen stärker als bisher in Aktien investieren würden, war meines Erachtens so gut wie sicher. Die daraus resultierenden Kursgewinne ebenfalls.
Zugegeben, all diese Überlegungen sprachen auf lange Sicht für steigende Aktienkurse, aber doch nicht in diesem Tempo und mit dieser Stetigkeit der letzten Monate. Selbst Daueroptimist Heiko Thieme versuchte in Interviews mit der Telebörse , das Gas ein wenig zurückzunehmen. Nicht nur für die Wall Street, sondern auch beim DAX. Eine Unterbrechung der Hausse nicht nur am deutschen Aktienmarkt drängte sich geradezu auf.
Im Juli war es dann so weit. Schon um ihre Gewinnmitnahmen vor sich selber und vor ihren Kunden zu begründen, verwiesen die Verkäufer aus dem Kreis der institutionellen Anleger auf die längst bekannten Krisen in Südostasien, auf den galoppierenden Zusammenbruch des japanischen Bankensystems und auf die Unfähigkeit oder Unwilligkeit der japanischen Regierung, diese Krise grundlegend zu beheben. Gewusst hatten wir es natürlich seit Jahren. Die japanische Wirtschaft war eindeutig nicht mehr in der Lage, ihrer Schlüsselrolle in diesem Teil der Welt nachzukommen. Weder konnten die japanischen Banken den Unternehmen in den Nachbarstaaten mit neuen Krediten unter die Arme greifen – sie standen ja selber (auch) wegen notleidender Kredite und wegen geplatzter Spekulationen bei schwindendem Eigenkapital vor dem Ruin –, noch war der japanische Binnenmarkt in der Lage, im notwendigen Umfang den Exportwünschen der angeschlagenen Nachbarn nachzukommen. Denn schließlich litt die eigene Binnenkonjunktur unter einer zähen Rezession, und die japanische Wirtschaft versuchte ihrerseits, den permanenten Kursverfall des Yen zu einer eigenen Exportoffensive zu nutzen. Dass durch den schwachen Yen gleichzeitig die Preise der Importgüter stiegen, machte den Chinesen, den Südkoreanern oder auch den Indonesiern das Leben auch nicht leichter.
|114| Von Japan war also keine Hilfe zu erwarten. Und mit jedem Tag wurden die Prognosen für Japan und Südostasien entsetzlicher, rutschte der Yen schneller auf den Abgrund zu. Als dann auch noch das ebenfalls bekannte Chaos in der russischen Politik wie eine Eiterbeule aufplatzte, gab es kein Halten mehr. Mit fliegenden Rockschößen flohen die Finanzinvestoren aus den Krisenregionen dieser Welt in die sicheren Häfen der USA oder Europas. Ein hervorragendes Szenario für einen Vermögensverwalter, um einen sofortigen Ausstieg aus dem Aktienmarkt gegen den immer noch herrschenden Optimismus seiner Kunden zu verteidigen.
In ihrer tiefsten Seele aber sahen sich die Aktienverkäufer von heute als die Käufer von morgen oder vielleicht auch übermorgen. Zwar würden die Krisen im fernen Asien und auch in Russland noch jahrelang die Tagesordnung der künftigen Weltwirtschaftsgipfel beherrschen, Blauäugigkeit oder grenzenloser Optimismus wären also völlig verfehlt gewesen. Auch in der deutschen, oder besser gesagt, in der europäischen Wirtschaft könnten sich die Schleifspuren eines Konjunkturabschwungs zeigen, ganz bestimmt aber in den USA, wo schon jetzt die Gewinnwarnungen großer Hightech-Unternehmen Einbrüche im Südostasien-Export signalisierten. Doch müssten sich nach wenigen Monaten einer kräftigen Konsolidierung der Aktienmärkte die aus diesen Problemen entstandenen Ängste verflüchtigt haben. »Alle negativen Nachrichten sind schon in den Kursen enthalten«, sagen in derartigen Situationen die Börsianer. Auch wenn noch keines der Krisenfeuer endgültig gelöscht ist, reichen im Stimmungstief allein erfolgversprechende Lösungsansätze schon aus, um die Kurse wieder nach oben zu schieben. »Die Börse hat ihren Boden gefunden«, hoffen dann die Anleger und steigen wieder ein.
Dieser Mechanismus war auch Mitte August und Anfang September 1998 an der Frankfurter Börse zu beobachten. Angeregt von Zinssenkungserwartungen in den USA und explodierenden Kursen am deutschen Rentenmarkt, tasteten sich einige mutige Anleger wieder an die Aktienmärkte heran. Aber irgendwie war Sand in das Getriebe geraten. Die Kurserholungen erwiesen sich allzu schnell als Strohfeuer, clevere ausländische Anleger nutzten jeden Kursanstieg |115| bei uns, um Gewinne zu kassieren. Verständlich, bei der plötzlichen Schwäche des US-Dollars gegenüber der D-Mark. Für den amerikanischen Verkäufer kamen zu den Kursgewinnen noch die Währungsgewinne beim Umtausch von D-Mark in
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