Greife nie in ein fallendes Messer
hatten; schließlich winkten saftige Zinserträge als Lohn der Angst, lockten die Chancen, das ganz große Geld zu verdienen. Platzte dann irgendwann das eine oder andere Kreditgeschäft, hatte man bis zu diesem Zeitpunkt vielleicht schon genug verdient, um den Verlust verschmerzen zu können. Den Bankenkursen in Frankfurt hatten diese Kreditrisiken bisher zumindest kaum geschadet, zumal bei uns in Deutschland der Staat durch sogenannte Hermes-Bürgschaften den Kreditinstituten wie auch der Exportwirtschaft den Rücken freihält, ihnen auf diesem Weg zumindest einen Teil der Risiken abnimmt. Vorausgesetzt, die jeweiligen Geschäfte sind im Interesse der Allgemeinheit förderungswürdig.
Die Kreditrisiken der Banken waren also überschaubar. Sie wurden in den Kreditabteilungen bewertet, schlugen sich in entsprechend hohen Zinssätzen nieder und führten eventuell, je nach Ausfallrisiko, zu Rückstellungen in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung.
Für die Börsianer hatte es mithin lange Zeit keinen Grund zu übermäßigen neuen Sorgen gegeben, erst recht nicht, wenn das übrige gute Geschäft der Banken derartige Minderungen der Jahresergebnisse vor Steuern zuließ. Selbst was die Krisen in Südostasien, Russland und auch Südamerika anging, die immer stärker die Gespräche auf dem Börsenparkett bestimmten, glaubten die meisten, auch dieses neue Szenario in den gesunkenen Kursen ausreichend berücksichtigt zu haben. Die Bankaktien hatten zwar, wie auch die übrigen deutschen Börsenwerte, seit dem Sommer erheblich verloren, aber ein richtiger Verkaufsdruck war bisher nicht zu spüren. Offenbar hatten sich auf den Seelen der Anleger dicke Schwielen gebildet. All diese Krisen in der Welt harrten zwar noch ihrer Lösung, aber wir hatten |120| uns inzwischen daran gewöhnt. Irgendwann, in nicht allzu ferner Zukunft, würden sich die niedrigen Zinsen und die europäischen Fusionsfantasien schon wieder in steigende Kurse ummünzen lassen.
Doch am Mittwoch, dem 23. September, war plötzlich Schluss mit lustig. Die nur leicht eingetrübte Welt der Finanztitel geriet in Turbulenzen. Den Anstoß für diesen Sinneswandel auf dem Parkett hatte wenige Tage zuvor eine konkrete Meldung gegeben, die sich auf finanzielle Schwierigkeiten des weltbekannten amerikanischen Hedgefonds Long-Term Capital Management (LTCM) bezog. Dieser Luxusliner im internationalen Termingeschäft drohte in stürmischer See zu stranden. Bis vor kurzem noch wäre dies in der gesamten Finanzwelt ein unvorstellbarer Gedanke gewesen. Kein Wunder also, dass jetzt überall auf den Chefetagen die Ampeln auf Rot sprangen. Dieser Fonds hatte in den vergangenen vier Jahren, nur mit geringem Eigenkapital ausgestattet, für seine Anteilseigner, zu denen offenbar auch deutsche Kreditinstitute zählten, erstaunliche Gewinne erzielt. Jetzt schien das Milliardenschiff seinen Fondsmanagern aus dem Ruder gelaufen zu sein. Und all die Bankvorstände, die in der Vergangenheit Millionenbeträge in diesen Fonds investiert oder an ihn ausgeliehen hatten, schrien entsetzt auf. Ihre Beteiligungen oder ihre Kredite drohten von einem Tag auf den anderen unterzugehen. Ganz schlimm traf es diejenigen, die Anteilseigner und Kreditgeber zugleich waren.
Überall wurden die Notbremsen gezogen. Risikomanagement hieß das neue Zauberwort. Und wie so häufig in der Finanzwelt, schoss man übers Ziel hinaus. Hatte man früher offensichtlich reichlich gedankenlos Kredite gewährt, ohne die gesamten Belastungen des Kreditnehmers zu erforschen, wollten die Institute plötzlich Kredite am liebsten nur noch an diejenigen vergeben, die im Grunde keinen Kredit brauchten. Nur noch an allererste Adressen, bloß kein Risiko mehr, schien die allgemeine Devise zu sein. Und bei neuen Kreditwünschen der zahlreichen Hedgefonds weltweit, da ging schon mal gar nichts mehr.
»Wenn sich diese Haltung fortsetzt, wird es wegen der Kreditklemme zu einer Weltwirtschaftskrise kommen. Gleichzeitig werden |121| viele dieser sogenannten Hedgefonds bei dem plötzlichen Liebesentzug ihrer Kreditgeber die Reißleine ziehen, also ihre Bestände abbauen müssen, mit fürchterlichen Folgen für die Börsen.« Mit diesen dunklen Ahnungen verabschiedete sich Karl-Egmont Niem. Knapp zehn Jahre später sollte dieses Thema wieder auf der Tagesordnung der Finanzmärkte erscheinen. Dann aber mit unvergleichlich größerer Wucht.
Die vorgegebene Zeit für das Interview war längst vorbei, es war fast 14 Uhr, ich hatte wieder
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