Greife nie in ein fallendes Messer
US-Dollar hinzu. Außerdem konnte man an der liquiden deutschen Börse seine Verkaufswünsche in vollem Umfang umsetzen und erhielt innerhalb von zwei Tagen sein Geld. Das war in der internationalen Finanzwelt keine Selbstverständlichkeit. Erinnerungen an den Crash von 1987/88 tauchten plötzlich in den Gesprächen auf dem Parkett auf.
Als dann die internationale Krisenlandschaft noch um Währungsspekulationen gegen die Länder in Südamerika bereichert wurde, drehte sich der Wind auf dem Börsenparkett in Frankfurt vollends. Plötzlich tauchte ein ganz neues Thema in meinen Gesprächen auf: die Gefahr der Deflation. Hatten wir bis gestern noch unter Inflationsängsten gelitten, fürchteten wir nun das Gegenteil, die Deflation. Ein Schreckenswort für die Deutschen, wer erinnerte sich nicht an die verzweifelten Krisenjahre 1929/30, als die Weltwirtschaft zusammenbrach und Deutschland ins Unglück stürzte.
In meinen Börsenreportagen spielen auf einmal die Deflation und eine mögliche Weltwirtschaftskrise die Hauptrollen. Jeder Interviewpartner bestätigt mir zwar auf hartnäckiges Nachfragen: »Nein, es gibt keine Anzeichen von Deflation in Deutschland.« Die Preise sinken nicht, nur die Steigerungsraten nehmen ab. Das ist, wie von der Bundesbank angestrebt, Disinflation, aber doch keine Deflation. Die Löhne steigen, die Geldmenge steigt, die Investitionen steigen, das Wirtschaftswachstum steigt. Zwar alles moderat, aber alles zieht an. Bei einer Deflation steigen die Produktionskosten, und alles andere sinkt. Davon kann weder in Deutschland die Rede sein noch in Europa noch in den USA. Trotzdem wird das garstige Lied der Deflation immer lauter und schriller gesungen, vor allem von denen, die für höhere Lohnabschlüsse eintreten, für höhere Schulden des Staates und niedrigere Zinsen der Frankfurter Notenbank, vorgeblich, um die Binnenkonjunktur auf Trab zu bringen. John Maynard Keynes lässt grüßen. Der Wahlkampf der Sozialdemokraten um ihren Spitzenmann Oskar Lafontaine legt sich wie Mehltau auf die Gemüter der Anleger.
In der Tat gibt es in Japan Anzeichen einer Deflation, und wenn |116| die Nachbarstaaten Japans nicht bald Tritt fassen, droht in Asien ein andauernder Abwertungswettlauf, an dem sich schließlich auch China und die südamerikanischen Schwellenländer beteiligen könnten, um ihren eigenen, überlebensnotwenigen Exporten einen neuen Auftrieb zu verschaffen. Aus der Sicht mancher Analysten und Volkswirte wäre dies dann der endgültige K.-o.-Schlag für die Weltwirtschaft und damit auch für die Börsen. Bei einem derartigen »Worst-Case-Szenario« geriete zwangsläufig auch die Wirtschaft der USA ins Straucheln. Fiele dieser Dominostein, wäre als Nächstes Europa an der Reihe. Wenn dem deutschen Anleger diese Melodie nur lange genug um die Ohren geblasen wird, könnten ihn seine Ängste auch tatsächlich zum Börsenausgang treiben, so die dunkle Ahnung auf dem Parkett.
Was vor wenigen Wochen noch nur ein willkommener Anlass war, die Kursübertreibungen aus dem Aktienmarkt zu nehmen, wird nun mit einem Schlag ein Selbstläufer, der die Aktien in die Tiefe zu reißen droht. Auf dem Absatz machen die Profis kehrt. Raus aus der übertriebenen Kurseuphorie und rein in eine abgrundtiefe Depression. Doch wieder machen die Kleinanleger nicht mit. Sie haben ihre Lektion offenbar gelernt und wissen: »Die Börse ist keine Einbahnstraße.« Nicht in Aufwärtsrichtung, aber auch nicht nach unten. Erste Aktienkäufe in kleinem Umfang setzen wieder ein.
Schließlich ist die Ungewissheit der Bundestagswahl mit dem 27. September ausgestanden. Die Wahl hat das erwartete Ergebnis erbracht, mit einem klaren Sieger, der SPD. Und so viel wird die neue rot-grüne Regierung auch nicht ändern können. In Sachen Atomenergie muss auch sie geltendes Recht beachten, höhere Benzinpreise, als »Ökosteuer« verkauft, werden von den meisten, gut verdienenden Bundesbürgern leicht zu verkraften sein, das erhöhte Kindergeld und die Steuerreform bringen hoffentlich mehr Kaufkraft – also Konsumtitel kaufen! –, und in der Finanzpolitik wird sich auch der neue Finanzminister Lafontaine nach der europäischen Decke strecken müssen. Nicht ohne Grund hat gerade Deutschland für eine unabhängige Notenbank in Europa gekämpft. Wer aber seine Zweifel nicht völlig aufgeben will, trennt sich vorsichtshalber von den deutschen Versorgertiteln wie RWE, Viag oder auch Veba.
|117| Die gelassene Grundstimmung der
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