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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedhelm Busch
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unberücksichtigt gelassen: das Russlanddesaster und die daraus folgenden Finanzkatastrophen in den Schwellenländern. Wegen dieser Krisen trennten sich die internationalen Anleger in Panik von ihren Risikoanleihen und flohen in die sicheren Häfen, zum Beispiel in die US-Bonds oder in die niedrigverzinslichen deutschen Anleihen. Das alte Börsenphänomen bestätigte sich einmal mehr: Wer sich die Finger bei riskanten Geschäften verbrannt hat, kauft im ersten Schock nur noch erste Qualität, unbeschadet jeder Verzinsung.
    Die Folgen waren für den Fonds entsetzlich: Die Risikoanleihen im Portfolio des Fonds verloren rapide an Wert, während die Kurse für US-Treasuries oder den deutschen Bund-Kontrakt an den Terminmärkten in die Höhe schossen. Damit hatte nun keiner der klugen Köpfe im Fondsmanagement gerechnet. Im Gegenteil, beim Verkauf |136| der amerikanischen und deutschen Terminkontrakte hatte man ja auf sinkende Kurse gesetzt. Bei Fälligkeit der Kontrakte werde das jeweilige Kursniveau deutlich niedriger liegen als vorher beim Verkauf, hatten die Programme ausgeworfen, somit werde man zum vereinbarten Termin zu einem niedrigeren Preis seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommen können.
    Die Flucht der Anleger aus den Schwellenländern in die sicheren Häfen Europas und der USA wird die »Shorties« im Fondsmanagement dem Infarkt nähergebracht haben. Ihre schönen Computermodelle hatten dieses Szenario nicht vorgesehen. Jetzt mussten sie entweder zusätzliche Finanzmittel in Millionenhöhe als zusätzliche Sicherheit für ihre Terminkontrakte aufbringen oder auf Teufel komm raus ihre offenen Positionen am Terminmarkt schließen, also ihre verkauften Kontrakte wieder zurückkaufen. Natürlich zu höheren Preisen. Für beides aber brauchte man Geld – viel Geld, das die verschreckten Banken den einst gehätschelten Fondsmanagern plötzlich gar nicht mehr oder nur zu sehr hohen Zinsen zur Verfügung stellen wollten. Als einziger Ausweg wäre folglich nur die Exekution, der Verkauf der Bestände zu Schleuderpreisen, geblieben. Dies hätte das endgültige »Aus« bedeutet, ohne jede Hoffnung auf eine Kehrtwende, die doch noch den vorhergesagten Erfolg bringen würde.
    Nicht nur die Fondsmanager im idyllischen Greenwich werden in diesen Nächten unruhig geschlafen haben. Auch den Verantwortlichen bei der amerikanischen Notenbank wird die Konsequenz einer plötzlichen Verkaufslawine an den angeschlagenen Finanzmärkten erschreckend deutlich vor Augen gestanden haben. Der unmittelbar bevorstehende Fall des renommierten LTCM-Fonds würde unweigerlich den Zusammenbruch weiterer Hedgefonds zur Folge haben.
    Ende der 1990er Jahre schätzte man die Zahl der Hedgefonds auf 2 000 bis 4 000. Natürlich bewegten nicht alle ein dreistelliges Milliarden-Dollar-Volumen, aber insgesamt konnten durchaus 1,2 Billionen US-Dollar im Feuer liegen.
    Schadensbegrenzung war daher angesagt, und zwar sofort. Um nicht in den Verdacht zu geraten, mit Steuergeldern private Verluste ausgleichen zu wollen, betätigte sich die amerikanische Notenbank bei der nächtlichen Rettungsaktion am 23. September im zehnten |137| Stock ihres New Yorker Bürogebäudes lediglich als Katalysator. Die 3,5 Milliarden US-Dollar, die der Fonds fürs vorläufige Überleben sofort benötigte, wurden von vierzehn international tätigen Banken und Brokerhäusern aufgebracht, darunter als einziges deutsches Institut die Deutsche Bank mit ihrem Anteil von 300 Millionen US-Dollar. Größe verpflichtet! Im Gegenzug übernahmen die vierzehn Nothelfer 90 Prozent des Fonds und behielten sich das Recht vor, auch ohne Zustimmung des entzauberten Stars Meriwether Positionen abzubauen. Natürlich ganz langsam und behutsam. Ein heikles Unterfangen, denn immer noch betrug das Volumen des Fonds fast 120 Milliarden US-Dollar.
    Wie gefährlich und folgenreich eine unsensible und vielleicht übereilte Unfallregulierung am Terminmarkt sein kann, hatten wir in Frankfurt leidvoll bei der Metallgesellschaft erfahren dürfen. Dieses Unternehmen hatte mit Ölkontrakten am Terminmarkt auf die falsche Seite gesetzt. Als wegen drohender Verluste neue Sicherheiten geleistet werden mussten, senkten die deutschen Hausbanken den Daumen, und Geld gab’s keines mehr. Das Termingeschäft wurde abrupt geschlossen, und die Metallgesellschaft stand vor dem Ruin. Bei längerem Durchhalten hätte das Unternehmen aus dem Öltermingeschäft sogar einen Gewinn ziehen können. Aber hinterher sind

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