Greife nie in ein fallendes Messer
wir alle klüger.
Als am 25. September an den Weltbörsen die Umstände der nächtlichen Aktion und ihre Inhalte durchsickerten, wollte jeder wissen, in welchen Märkten und in welchen Papieren sich der LTCM-Fonds engagiert hatte, denn in diesen Bereichen war ja schließlich mit einem Abgabedruck in den nächsten Tagen oder Wochen zu rechnen.
Meine entsprechende Frage an die Adresse der Deutschen Bank zur Konstruktion des Fonds war aber wohl doch zu naiv. Natürlich könne man nichts sagen, hörte ich, weil man halt nichts wisse. Um auch nur den Hauch von Insiderwissen zu vermeiden, gebe es nicht den geringsten Kontakt zwischen der New Yorker Eingreiftruppe, die den vollen Durchblick beim LTCM-Fonds hatte, und den Händlern der Deutschen Bank an den Börsen weltweit. Ob diese strikte Trennung bei allen Beteiligten wasserdicht bleiben würde, das mochte auf |138| dem Parkett keiner so recht glauben. Und so wunderte es im Nachhinein auch keinen meiner Gesprächspartner, dass am 25. September plötzlich der Goldpreis von deutlich unter 280 US-Dollar pro Feinunze auf über 298 US-Dollar anzog. Angeblich sei der LTCM-Fonds short für 300 bis 400 Tonnen Gold, konnte man als nachträgliche Erklärung hören, die Fondsmanager könnten also gezwungen sein, Goldkontrakte zu kaufen, um ihre Position zu schließen.
Als in den darauffolgenden Tagen der prophezeite Zusammenbruch weiterer Hedgefonds ausblieb, atmete die Börse tief durch und ging, leicht angeschlagen zwar, wieder zur Tagesordnung über. Wir waren offensichtlich noch einmal davongekommen, doch den Blick in den Abgrund würden wir so schnell nicht vergessen.
Sicher, die gegenwärtige Kehrtwende der Banken bei der Kreditgewährung würde schon bald unter dem Eindruck überquellender Liquidität wieder korrigiert werden. Es war auch nur wenig von den vereinzelten Schwüren zu halten, in Zukunft jeden Kontakt mit Hedgefonds zu meiden wie der Teufel das Weihwasser, denn schließlich waren die Kreditinstitute im harten internationalen Konkurrenzkampf auf die Gewinne aus diesem Bereich angewiesen. Doch würde sich hoffentlich das Klima im Umgang mit diesen Hedgefonds ändern. Eine Kreditklemme, die den Welthandel strangulieren könnte, werde es wohl kaum geben, aber die Zeiten leichthändiger Kreditvergaben seien vorbei. Solche und ähnliche Vermutungen wurden jetzt häufiger vor laufender Kamera geäußert.
Die mahnenden Worte des Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer an die Adresse der Kreditinstitute, bei der Vergabe von Krediten künftig mehr auf die Gesamtverschuldung des Kreditnehmers und auf die Fristen dieser Schulden zu achten, stießen auf dem Parkett in der Tat auf eine nachdenkliche Resonanz. Schon um staatliche Zwangsmaßnahmen zu vermeiden, wie sie prompt von einem Staatssekretär des neuen Bundeswirtschaftsministers in der Telebörse angesprochen wurden, werde man bei den deutschen Banken auch über eine freiwillige Erweiterung der Berichtspflicht über das Engagement an den Terminmärkten reden müssen. Von all den Hedgefonds dieser Welt erwarteten gar einige Börsianer – reichlich |139| blauäugig, wie die folgenden Jahre zeigen sollten – für die Zukunft eine regelmäßige Aufklärung über den Grad der Verschuldung. Dieses »vorbildliche« Verhalten könne man ja mit einem publikumswirksamen Testat öffentlich belohnen. Wer dagegen aus Konkurrenzgründen diese Information verweigere, müsse mit einem Malus bei der Kreditvergabe rechnen und mit entsprechenden öffentlichen Hinweisen.
Bemerkenswerte Vorschläge, doch wurden sie im täglichen Konkurrenzkampf der Kreditinstitute um potenzielle Kunden schon bald vom Mantel des Vergessens zugedeckt. Und so gewannen Hedgefonds dank ihrer außergewöhnlich hohen Gewinnchancen bei den Investoren mehr und mehr Zuspruch, während die mit ihnen verbundenen Risiken in den Köpfen der Anleger zu Petitessen verkamen. Selbst die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung kam Ende November 2003 nicht umhin, den Bundesbürgern das Tor zu dieser Anlageform einen Spalt weit zu öffnen. Seit dem 1. Januar 2004 erlaubt das Investmentmodernisierungsgesetz den Verkauf von Dach-Hedgefonds-Anteilen an Privatanleger. Dagegen dürfen Single-Hedgefonds nur institutionellen Anleger angeboten werden. Wer die Begründung des Gesetzgebers nachliest, ahnt im Nachhinein, wie stark die Bauchschmerzen der verantwortlichen Politiker gewesen sein müssen, als man sich zu einer Freigabe der Hedgefonds für den deutschen
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