Greife nie in ein fallendes Messer
eine Rendite, die man außerhalb des Unternehmens nicht erzielen könnte.
Ein wichtiger Grund für die Aufdeckung und damit auch für die Auskehrung der Finanzreserven liegt in Rechnungslegungsstandards, wie sie in den USA vorgeschrieben sind. Diese Generally Accepted Accounting Principles (GAAP) orientieren sich, vereinfacht gesagt, überwiegend am Interesse der Anleger. Im deutschen Bilanzrecht wird demgegenüber vor allem der Schutz des Gläubigers beachtet. Daher wird der Bilanzierende gezwungen, nach dem Vorsichtsprinzip zukünftige mögliche Verpflichtungen zu berücksichtigen, mögliche, noch nicht realisierte Gewinne dagegen außer Acht zu lassen. Dadurch werden nach dem Handelsrecht die Aktiva grundsätzlich unter-, die Passiva dagegen überbewertet. Auf diesem Weg entstehen in den deutschen Bilanzen erhebliche stille Reserven, die im Notfall zur Befriedigung der Gläubigeransprüche herangezogen werden können. Sie erscheinen nicht in der Bilanz, können in Teilen also auch nicht an den Fiskus oder die Anteilseigner ausgeschüttet werden. Kann sein, dass das dem Aktionär nicht gefällt, da er ja, laut Carl Fürstenberg, frech ist und für sein eingesetztes Kapital eine ausreichende Dividende erwartet. Man darf aber auch als Aktionär nicht übersehen, dass stille Reserven die Finanzkraft des Unternehmens und damit auch die Basis seiner Aktien langfristig stützen. In Zeiten heftiger Konkurrenzkämpfe ist dieses Kapital durchaus ein Pfund, mit dem man wuchern kann.
|155| Dem amerikanischen Bilanzrecht sind derartige Überlegungen fremd. So dürfen beispielsweise zukünftige Pensionslasten, obwohl sie mit Sicherheit eintreten werden, nicht mit ihrem tatsächlichen späteren Wert in der Bilanz berücksichtigt werden. Rückstellungen, wie wir sie in unserem Bilanzrecht kennen, gibt es in Amerika kaum. Nach dem amerikanischen Bilanzrecht der GAAP besteht daher zwar nicht die Gefahr überhöhter stiller Reserven, wohl aber die Gefahr unterschätzter stiller Lasten, wie mir Professor Jörg Baetge vom Institut für Revisionswesen an der Wilhelms-Universität Münster in einem Gespräch auf dem Frankfurter Börsenparkett einmal bestätigte. »Es mag sein, dass wir in Deutschland zu vorsichtig bilanzieren, in Amerika aber besteht umgekehrt die Gefahr, dass mögliche Schulden als Gewinne ausgewiesen werden. Die amerikanische Bilanzierung kann unter Umständen zu unvorsichtig sein.« Werden diese Gewinne dann sofort an die Anteilseigner oder leitenden Manager und auch an den Fiskus ausgeschüttet, so kann diese Freigebigkeit ein Unternehmen durchaus in arge Schwierigkeiten bringen.
Die deutschen Unternehmen sind also gut beraten, wenn sie den Gedanken des Shareholder Value als Teil einer langfristigen Strategie verfolgen. Schnelle und lautstarke Aktionen mit dem Ziel, durch spektakuläre Kurserfolge den eigenen Shareholder Value zu verbessern, helfen der Aktienkultur auf lange Sicht kaum. Spätestens in Zeiten sinkender Unternehmensergebnisse wird man gezwungen sein, übertriebene Gewinnprognosen zu korrigieren und die hochfliegenden Kursvisionen verwöhnter Anleger wieder auf den Boden der Realitäten zurückzuholen, was nicht selten zu übertriebenen Aktienverkäufen führt. Enttäuschte Hoffnungen können durchaus in Zorn umschlagen und manchem verbitterten Anleger die Lust auf Aktien auf Dauer vergällen. In Zeiten nachlassender Dynamik am Aktienmarkt wird sich eine unaufgeregte, sachliche Informationspolitik in Sachen Shareholder Value bezahlt machen. Der Aktionär ist nicht frech, wenn er für sein eingesetztes Kapital eine Dividende erwartet, er sollte aber auch nicht so dumm sein, auf herausgeputzte Shareholder-Value-Kampagnen hereinzufallen.
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Kapitel 8: Gewinne laufen lassen. Meine Fehler mit der SAP-Aktie
Selbst an traurigen Börsentagen, wie wir sie in der zweiten Jahreshälfte 1998 im Übermaß erlebten, trifft man nicht selten Anleger, die mit stoischer Ruhe auf die fallenden Kurse schauen. Entweder haben sie am Terminmarkt ihre Aktienbestände über den Kauf von Puts abgesichert, können also bei sinkenden Kursen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die Aktien zu einem vereinbarten Preis verkaufen, unabhängig vom tatsächlichen Kurswert, oder sie haben Calls verkauft und sich damit verpflichtet, zu einem festgelegten Termin die entsprechenden Aktien zum vereinbarten Preis abzugeben. Sinken die Kurse bis zu dem Verfallstag dieses Termingeschäfts unter den vereinbarten Preis der
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