Greife nie in ein fallendes Messer
dynamischer war es im Ausland gelaufen, mit einem Plus von 50 Prozent hatte sich dort der Umsatz mehr als verdoppelt. Für 1988 hatte das Unternehmen eine Dividende von 11,50 D-Mark angekündigt; jede neue Stammaktie im Nennwert von 50 Mark war bereits ab dem 1. Juli 1988 gewinnberechtigt.
Die Aktie versprach, ein Knüller zu werden. Darum wunderte es auch keinen auf dem Börsenparkett, dass die Aktie, die in der Zeit vom 26. bis zum 28. Oktober zu einem Kurs von 750 D-Mark verkauft werden sollte, binnen weniger Stunden mehrfach überzeichnet war.
Später sollten wir uns an der Börse daran gewöhnen, dass am Neuen Markt Aktienemissionen von Hightech-Unternehmen bereits vor der Einführung hundertfach überzeichnet wurden, aber im Oktober |161| 1988 war dies schon eine kleine Sensation. Die Zeichnung der neuen Aktien wurde am zweiten Tag wegen der starken Nachfrage vorzeitig abgebrochen.
Wie richtig die Zeichner der SAP-Aktie mit ihrer Einschätzung gelegen hatten, erwies sich bereits wenige Monate später. Im Januar 1989 verkündete das Unternehmen stolz, der Umsatz im abgelaufenen Jahr habe sich wesentlich besser entwickelt als erwartet, er werde mit 240 Millionen D-Mark mehr als 10 Prozent über den Erwartungen liegen. Wahrscheinlich werde die versprochene Dividende sogar noch leicht erhöht werden. Zum ersten Mal machten wir an der Börse eine wichtige Erfahrung mit der SAP AG: Die Unternehmensführung war in ihren Schätzungen und Voraussagen über den zu erwartenden Umsatz und Gewinn extrem vorsichtig. Lieber von den positiven Tatsachen übertroffen werden, als den Mund zu voll zu nehmen.
Diese konservative Einstellung in der Informationspolitik bescherte dem Unternehmen in den folgenden Jahren nicht immer den ungeteilten Beifall der Analysten und Aktionäre. Mancher Anleger reagiert mit sofortigem Liebesentzug, wenn er aus seinen hochfliegenden Träumen auf den Boden der Realität zurückgeholt wird, selbst wenn sich dieser Boden als eine solide und dauerhafte Basis für ein langfristiges Aktienengagement erweisen sollte. Gerade enttäuschte Hoffnungen verleiten offenbar die Anleger zu Kurzschlussreaktionen. Wer auf dieser Klaviatur der Anlegerseele gut zu spielen weiß, kann durch übertriebene Prognosen und ihre spätere Korrektur die Anleger erst in die eine und dann in die andere Richtung schicken. Man tut als privater Kleinanleger also gut daran, sich über den Wert einer Aktie mithilfe von ausführlichen Gesprächen mit verschiedenen Anlageberatern und von Informationen aus den Medien eine eigene Meinung zu bilden – und diese nicht gleich bei jeder neuen Gewinnschätzung, die an der Börse auftaucht, über Bord zu werfen.
Eine zweite Auffälligkeit zeigte sich im jährlichen Unternehmenszyklus von SAP. Offenbar erwies sich gerade das vierte Quartal als besonders dynamisch. Weil halt die Bestellungen vor allem zum Jahresende abgewickelt werden, vermuteten einige meiner Gesprächspartner |162| auf dem Parkett. Hätten wir uns doch später nur hin und wieder an diese Erkenntnis erinnert!
Mir persönlich erschien die Aktie mit einem Kurs von 750 D-Mark als nicht gerade billig, zumal einige Börsianer auf dem Parkett für das kommende Jahr einen Gewinn von etwas über 38 D-Mark pro Aktie geschätzt hatten. Daraus ergab sich ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von über 19, mithin ein Wert, der 1988 deutlich über dem gewohnten Durchschnitt von 12 lag. Immerhin musste das Unternehmen bei diesem KGV über einen Zeitraum von 19 Jahren einen jährlichen Gewinn von 38 D-Mark pro Aktie erzielen, um seinen Kurs zu »verdienen«.
Heute hat das KGV bei der Beurteilung von Aktien, besonders bei den Hightech-Werten, erheblich an Aussagekraft eingebüßt. Eine bessere Richtschnur sei die Gewinndynamik, höre ich immer wieder an der Börse. Bei jährlichen Gewinnsprüngen von 50 Prozent und mehr spiele es keine große Rolle, wie sich das KGV darstelle. Dies mag wohl so sein. Eigenartig ist nur, dass diese Argumentation vor allem in Zeiten der Euphorie die Runde macht. Schlägt das Börsenwetter um in die Normalität oder gar in eine Baisse-Stimmung, taucht sehr schnell die allgemeine Warnung vor einer Überhitzung auf, die durch eine sinnvolle Korrektur nach unten zunächst abgebaut werden müsse, bevor man erneut zum Einstieg blasen möchte. Als Beweis einer überhitzten oder »überkauften« Börse wird dann auch das gute alte KGV wieder bemüht, das ja viel zu hoch gewesen sei.
Als im Sommer 1998 dem
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