Greife nie in ein fallendes Messer
Böses.
|182| Am nächsten Tag wird die SAP unter dem lauten Geschrei der Händler und Makler aus dem siebten Börsenhimmel in die harte und staubige Realität gekippt. Nach Schluss der Präsenzbörse hatte das Unternehmen am Vortag selber eine »überraschende Wachstumsschwäche« in den ersten drei Quartalen 1996 bekanntgegeben. Ergebnis und Umsatz seien um nur 33 Prozent gestiegen. Ich hatte diese Zahlen in meiner Naivität noch als recht passabel interpretiert und den negativen Kommentar seitens der Unternehmensführung als die schon bekannte vorsichtige Haltung des Herrn Hopp gewertet. Die Reaktion an der Börse trifft mich daher wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Schon vor Börsenbeginn ballen sich die aufgeregt gestikulierenden Börsianer vor der Schranke des für SAP zuständigen Kursmaklers. Lautes Geschrei, Stolpern und Gerenne zwischen der Schranke und den Büros der Kreditinstitute am Rand des Parketts, hektisches, lautstarkes Telefonieren übers Handy … Verkaufslimits werden heruntergesetzt, Kauflimits gestrichen. Jetzt bloß keinen Fehler machen, nicht zu früh, das heißt, nicht zu hoch wieder einsteigen, aber aufpassen, den Punkt nicht verpassen, an dem sich der Wind dreht. Missverständnisse untereinander und am Telefon, Zornesausbrüche, Erleichterung, Enttäuschung, alles auf wenigen Quadratmetern.
Meine Fragen in den Interviews, warum ein Ergebnisplus von mehr als 30 Prozent nach Jahren dynamischen Wachstums so katastrophal sei, und das in einer allgemein schlechten Konjunktur, stoßen bei meinen Gesprächspartnern auf völliges Unverständnis. Gegen die Wahrheit der Kurse bin ich hilflos: minus 60 bis 70 D-Mark bei den Vorzügen. Was vorher 280 D-Mark gekostet hat, ist jetzt nur mit Mühe für 220 oder 210 D-Mark zu verkaufen.
King Kong SAP wird von der Börse bestraft, kann man am nächsten Tag in der Börsenzeitung lesen. Das Schlachtfest dauert in den nächsten Tagen an. M. M. Warburg stuft SAP herunter, von übergewichten auf neutral. Ein eindeutiges Verkaufssignal, der Kurs der Vorzüge rutscht folglich weiter, unter 200 D-Mark, und mit den Kursen werden die Calls auf SAP-Aktien immer billiger. Dietmar Hopp versucht, seine eigenen sorgenvollen Worte wieder einzufangen; das vierte Quartal werde deutlich besser. »Kein Wunder«, kommt das |183| hämische Echo von der Börse, »im dritten Quartal hat das Wachstum in Deutschland nur noch bei 9 Prozent gelegen, erwartet wurde aber für 1996 ein Gewinnplus bis zu 50 Prozent, das aber wird kaum zu schaffen sein.«
Das Unternehmen hatte zwar schon lange vorher immer wieder auf eine mögliche Wachstumsdelle hingewiesen, die Analysten aber hatten in ihrer SAP-Euphorie diese Mahnungen nur als die bekannte Tiefstapelei abgetan. Die Realität werde mit Sicherheit besser aussehen! Nun waren all diese Traumschlösser zusammengefallen, und jeder stolperte über die Trümmer am Boden zum Ausgang hinaus. Nur raus aus SAP! Enttäuschte Liebe kann sehr radikal sein.
In den ruhigen Stunden nach diesem Desaster machten wir uns in Gesprächen mit Computerexperten und Volkswirten ans Aufräumen. Wie sah die Zukunft für SAP tatsächlich aus? Stimmte die Unternehmenskonzeption, gäbe es noch genügend Märkte für die Industriestandardsoftware R/3? Der Wechsel vom Jahr 1999 in das Jahr 2000 werde die weltweit vernetzte moderne Gesellschaft in ein Chaos stürzen, erklärte man mir. Die Computer arbeiteten alle mit Programmen, die bei den Jahreszahlen nur die letzten beiden Ziffern wahrnehmen. Mit anderen Worten, nach 1999 stellt der Computer nicht auf 2000 vor, sondern auf 1900 zurück. Überall wird daher eine neue Software erforderlich, die dieses Problem löst. Die SAP-Software sei dazu in der Lage. Das werde zwangsläufig auf allen Märkten dieser Welt zu einem gewaltigen Auftragsschub führen!
Die zweite Quelle, aus der SAP im Überfluss schöpfen könne, werde die Einführung des Euro sein, wenn er denn zum 1. Januar 1999 käme. In den Teilnehmerländern müssten die großen wie kleinen Unternehmen und Behörden von nationalen Währungen auf eine einheitliche, gemeinsame Währung umstellen. Auch das mache die Installation einer neuen Software erforderlich. Und auch hierfür habe SAP die richtige Antwort. Voraussetzung sei aber halt, dass der Euro auch tatsächlich komme.
Ich war von der pünktlichen Einführung des Euro überzeugt: Die wirtschaftliche Vernunft sprach dafür, und Bundeskanzler Helmut Kohl würde schon sein ganzes politisches
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