Greifenmagier 1 - Herr der Winde
ganz unwillkürlich an eine Zeit erinnerte, als die junge Königin noch nicht seine Nähe zum König beeinträchtigt hatte. Gewandt sagte er: »Ich denke, sie jagen zumeist Mäuse. Denkst du, die Königin mag Mäuse?«
»Vielleicht schon, wenn es ihr Falke wäre, der sie geschlagen hat. Sie findet den Vogel bezaubernd ... Na ja, das ist er auch. Wir müssen ihn mal auf junge Kaninchen ansetzen und sehen, wie er sich macht. Oder die Köche überreden, dass sie mal versuchen, etwas aus Mäusen zu machen, wie? Sieh mal nach, ob der Richter eingetroffen ist, ja? Ich habe ihm die dritte Stunde genannt.«
Inzwischen waren sie im persönlichen Empfangszimmer des Königs eingetroffen, einem kleinen, heiteren Zimmer mit breiten Fenstern, deren Läden man an diesem Vormittag weit geöffnet hatte, um Licht und Luft hereinzulassen. Auf einem niedrigen Podium stand ein Stuhl für den König; ansonsten fand man kein Mobiliar vor.
Der Richter war natürlich schon im Vorzimmer eingetroffen, denn es ging nicht an, den König warten zu lassen. Also war der Richter früh erschienen und hatte den Angeklagten mitgebracht. Bertaud ging zu ihnen, um sie ins Empfangszimmer zu führen. Zuerst fiel sein Blick auf den Gefangenen - einen jungen Mann, der ungefähr in Bertauds Alter war. Seine Hände waren gefesselt, und seine Miene war ernst. Der Angeklagte hatte ein schmales Gesicht, braune Haare und lange Hände. Nach der schlichten, aber guten Kleidung zu urteilen, war er vermutlich der Sohn eines Handwerkers oder eines kleineren Händlers. Ein Wachmann war ebenfalls zugegen und stand hinter dem jungen Mann.
Bei dem Richter handelte es sich um Ferris, den Sohn von Tohanis, und Bertaud kannte ihn kaum. Er senkte den Kopf vor dem Richter und sagte: »Hochverehrter Herr.« Den anderen beiden Männern schenkte er so gut wie keine Beachtung; er sah nur kurz nach, ob der Wachmann, ein Mitglied der königlichen Garde, auch angemessen tüchtig und wachsam wirkte. Dieser erwiderte den Blick mit einem knappen Nicken. Die von einem Hauptmann angeführte königliche Garde unterstand Bertaud. Dieser Aufgabenbereich fiel normalerweise nicht dem Fürsten des Deltas zu, aber Iaor hatte ihn damit betraut, ungeachtet des jugendlichen Alter von Bertaud. Der Fürst war sehr stolz, dass ihm diese Ehrung zuteilgeworden war, und bemühte sich, Iaors Vertrauen gerecht zu werden - obwohl seine Pflichten im Fall der königlichen Garde zumeist darin bestanden, deren Hauptmann Eles freie Hand zu lassen.
»Mein Fürst«, setzte der Richter an, »darf ich fragen ...«
Bertaud lächelte. »Er ist schon neugierig darauf, was Ihr für ihn habt. Er ist, glaube ich, in der Stimmung für komplizierte Gedanken und freut sich darauf zu erfahren, was Ihr ihm mitgebracht habt.«
Der Richter erwiderte Bertauds Lächeln nicht, sondern nickte bloß und seufzte. »Ich hoffe, dass die Stimmung Seiner Majestät noch immer so beschaffen ist, wenn er mich angehört hat. Die vorliegende Sache ist weniger kompliziert als vielmehr eine Herausforderung - oder so habe ich es zumindest gefunden. Na ja ... Ich danke Euch, mein Fürst. Ist Seine Majestät dann bereit, mich zu empfangen?«
»Wenn Ihr bereit seid, Euren Fall vorzutragen, hochverehrter Herr, ist Seine Majestät bereit, Euch anzuhören.«
Der Richter war natürlich bereit. Bertaud führte ihn den Flur entlang zum kleinen Empfangszimmer.
Als sie eintraten, nickte der König, der in der Zwischenzeit auf seinem Stuhl Platz genommen hatte. Der junge Mann trat, geführt vom Wachmann, an den Fuß des Podiums heran und sank dort unbeholfen auf die Knie, wobei er festem Druck auf seine Schultern Folge leistete. Der Wachmann bezog hinter ihm Stellung. Der Richter verschränkte die Hände vor der Brust und verneigte sich.
»Hochverehrter Ferris«, sagte der König. »Mit welcher Frage konfrontiert mich Eure Gewissenhaftigkeit?«
Der Richter verbeugte sich ein zweites Mal und richtete sich auf. Auf etwas pedantische Art trug er vor: »Eure Majestät, dieser Mann ist Enned, Sohn von Lakas. Er wurde unter dem Vorwurf der Körperverletzung und des Mordes vor mich geführt. Er leugnet seine Schuld nicht - und tatsächlich steht sie auch nicht infrage. Die Umstände lauten wie folgt: Ein Linulariner Kaufmann - der mit Salz, Leinen und Metallen handelt, seit sieben Jahren jeden Frühling in Tihannad Geschäfte macht und ein respektierter und wohlhabender Mann ist - geriet mit dem Vater dieses jungen Mannes in Streit, mit Lakas, Sohn von
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