Greifenmagier 1 - Herr der Winde
Anklage des Mordes an einem Linulariner Kaufmann zu verwerfen, das konnte zum Beispiel ein solches Einfallstor sein.
»Also lege ich den Fall Eurer Majestät vor«, erklärte Ferris abschließend, breitete die Hände aus und neigte das Haupt.
»Ja«, sagte der König erneut. Er betrachtete den jungen Mann. Enned, Sohn von Lakas, erwiderte den Blick offen. Er war recht blass, jedoch offensichtlich zu stolz, um dem forschenden Blick des Königs auszuweichen.
Als Bertaud den Angeklagten musterte, überraschte es ihn nicht, dass dieser junge Mann bereit gewesen war, das eigene Leben zu riskieren, um die Ehre des Vaters wiederherzustellen und den Mann zu bestrafen, der den Vater ruiniert hatte. Und was wohl der Vater davon hielt? Sicherlich wäre jeder normale Vater entsetzt, wenn nicht über den Mord, dann doch über diese Folgen.
»Hast du irgendetwas hinzuzufügen?«, fragte der König den Beschuldigten. »Stimmst du dem zu, was der hochverehrte Ferris berichtet hat?«
Enned senkte den Kopf über die gefesselten Hände. »Nein, Eure Majestät. Das heißt, ja. Alles, was er gesagt hat, entspricht der Wahrheit.«
»Ist dir klar, dass die Strafe für Mord der Tod ist?«
»Ja, Eure Majestät«, antwortete der junge Mann.
Er fürchtete sich, wie Bertaud erkannte, war aber nicht trotzig, erwiderte vielmehr des Königs Blick offen und ehrlich. Seine Stimme war jedoch nicht ganz so ruhig wie seine Miene.
»Denkst du, dein Vater würde den Tausch deines Lebens für den Tod seines Geschäftsrivalen als ein faires und gutes Geschäft ansehen?«
Der junge Mann schüttelte steif den Kopf. »Er wird sehr traurig sein. Ich hatte nicht vor, mich erwischen zu lassen. Es tut mir leid, dass ich erwischt wurde. Und ich bedaure es, falls Ihr denkt, dass ich gefehlt habe. Es tut mir jedoch nicht leid, den Linulariner getötet zu haben. Meine Familie war nicht wohlhabend, Eure Majestät, aber wir waren auch nicht arm, und mein Vater hat hart gearbeitet, um unser Geschäft aufzubauen. Und er ist ein guter Mann, der es nicht verdient hat, wie ein Bettler abgefertigt zu werden!«
»Und du fertigst mein Gesetz ab?«
Enned schien erschrocken. Farbe stieg ihm ins Gesicht. »Ich ... gestehe, dass ich es nicht so betrachtet habe, Eure Majestät.«
Der König trommelte mit den Fingern nachdenklich auf die Armlehne. »Meine Gesetze bestehen nicht ohne Grund. Meine Gerichte bestehen, damit Menschen, denen Unrecht widerfahren ist, dort ihr Recht einfordern können. Ich bin da, um mir Gesuche anzuhören, wenn die Gerichte nicht für Gerechtigkeit sorgen können. Und doch hast du auf eigene Faust einen Mord begangen, des eigenen Stolzes halber.«
Der junge Mann fand erkennbar keine Worte darauf.
Der König beugte sich vor. »Daraus schließe ich, dass du ein Narr bist.« Sein Blick und der Klang seiner Stimme wurden immer strenger. »Falls jeder ein Messer zückte, dessen Geschäftspartner ihn übervorteilt oder beleidigt haben, wenn das Gesetz jedes Mal missachtet würde, sobald ein unbesonnener junger Mann seinen Stolz verletzt fühlte, wie sähe unser aller Leben aus? Welche Unordnung herrschte? Enned, Sohn von Lakas, der hochverehrte Ferris hat dich vor mich geführt, weil er fand, dass du eine Gnade verdient hast, die er dir nicht gewähren konnte. Ich weiß nicht, ob ich es genauso empfinde. Wenn der Linulariner Kaufmann deines Vaters Stolz und das Wohlergehen deiner Familie verletzt hat, wie viel mehr hast du dann meinen Stolz verletzt und das Wohlergehen meines Königreiches?«
Der junge Mann schluckte und senkte den Kopf.
Der König richtete sich auf und blickte den Richter nachdenklich an.
Ferris zuckte die Achseln und breitete die Hände aus. »Wenn jeder, der Geschäfte betreibt, mit anderen ehrlich umginge, dann würden seine Geschäftspartner nicht unter seinem Handeln leiden und junge Männer sich nicht beleidigt fühlen, wie stolz sie auch immer sein mögen. Obwohl ich zugeben muss: Dieser junge Mann hier ist stolz. Er ist außerdem der einzige Sohn seines Vaters. Dieser hat mich aufgesucht und um das Leben seines Sohnes gefleht - eine Bitte, die zu gewähren ich natürlich nicht befugt bin.«
»Aber Ihr hättet gern, dass ich es gewähre.«
»Das Gesetz ist streng, Eure Majestät, aber ich diene ihm mit Freuden. Außer wenn es von Menschen missachtet wird, die seine Gebote und Verbote durch verschlagene Listen umgehen. Dann vermag ich es nicht, ihm mit Freuden zu dienen. Immerhin bleibt mir in solchen Augenblicken ein
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