Greifenmagier 1 - Herr der Winde
der sich nun zum ersten Mal an der Debatte beteiligte. »Aber wenn diese Kreaturen Land, das uns gehört, in Wüste verwandeln oder das Vieh unserer Einwohner töten, dann sind sie unsere Feinde. Und wenn wir ihnen diese Verheerungen durchgehen lassen, erscheinen wir als schwach.« Adries war jünger als Jasand und ein stillerer Mann als dieser, hatte weniger Erfahrung im Feld und neigte nicht zu Prahlerei oder protzigen Gesten. Er besaß jedoch die Gabe, sich viele Einzelheiten gleichzeitig merken zu können; und so setzte Iaor auf ihn, wenn es darum ging, über alle militärischen Fragen auf dem Laufenden zu bleiben, die beide Landesgrenzen betrafen. Adries fuhr fort: »Es sei denn, sie zahlen Euch einen ansehnlichen Tribut, mein König. Aber selbst wenn sie das täten, könnten wir ihnen dann trauen? Sie sind keine Geschöpfe der Erde. Sie sind uns von ihrem Wesen her fremd.«
Iaor Safiad warf Bertaud einen Blick zu und drehte die Handfläche nach oben. »Mein Freund, dir ist sicherlich klar, dass das wahr ist.«
Bertaud nickte. Er wusste das sehr wohl. Bitterkeit füllte ihm den Mund; er verstand nicht einmal ganz, woran das lag. »Ich habe ihnen zu keinem Zeitpunkt versprochen, dass du sie gewähren ließest.«
Ein Mundwinkel Iaors zuckte. »Das hätte ich auch nicht erwartet.«
»Ich hatte es jedoch gehofft.«
»Dann tut es mir leid, dass ich diesem Weg nicht zu folgen vermag. Ich werde General Adries nach Süden schicken. Ich muss so handeln. Und obwohl ich das ebenfalls bedaure, werde ich dich nicht bitten, ihn zu begleiten.«
Bertaud wusste, dass Iaors Bedauern echt war. Nicht, dass dies einen Unterschied ausgemacht hätte. Sobald sich Iaor, ein wahrer Safiad, für einen Weg entschieden hatte, folgte er ihm bedingungslos. General Jasand war tot, aber Adries stand noch zur Verfügung. Iaor schickte den jüngeren General nach Süden, auf dass erneut Blut in den durstigen Wüstensand floss. Adries war durch Jasands Beispiel gewarnt und ging sicher mit mehr Vorsicht ans Werk, würde aber ebenfalls entschlossen handeln: Man konnte nicht damit rechnen, dass beim nächsten Mal nur das Blut von Menschen floss.
Bertaud war dankbar, dass von ihm nicht erwartet wurde - nicht einmal nominell -, diesen zweiten Einsatz zu leiten. Und er war dankbar dafür, dass er nicht einmal mitzureiten brauchte. Er war ganz entschieden dankbar. Und er war entschlossen, diesen Ausschluss nicht als eine Art Ohrfeige zu werten. Hatte er denn nicht selbst das eigene Urteilsvermögen wiederholt angezweifelt? Wie hätte er Iaor dann einen Vorwurf daraus machen können, dass auch er daran zweifelte?
Und so gab er eine Gelassenheit vor, die er nicht empfand, und schilderte Adries, mit welchen Waffen die Greifen kämpften: Wind und Feuer; Staub, der in den Augen brannte und blendete ... das Überraschungsmoment ...
»Wir müssen einen oder zwei Magier aus Tieranan herbefehlen«, erklärte Adries und unterstrich die Bedeutung dieser Anordnung, indem er mit ernster Miene nickte. »Und ich werde mehrere der hier ansässigen Magier auffordern, uns zu begleiten. Ich denke, das wird die Wirksamkeit von Wind und Sand schmälern. Und das Überraschungsmoment ist eine Waffe, die man selbst seinem Gegner in die Hand drückt. Wir werden bestrebt sein, sie den Greifen kein zweites Mal zu geben.«
Bertaud bemühte sich, diese abschließende Bemerkung nicht als weiteres Urteil über seine kürzlichen Leistungen zu verstehen. Er wusste, dass das nicht Adries' Absicht war. Der General war einfach ein aufrichtiger Mann von unaufdringlicher Tüchtigkeit, der sich entschlossen zeigte, die Ehre Farabiands zu retten. Bertaud verstand ihn völlig. Dass er sich einen Erfolg des Generals nicht von ganzem Herzen wünschte, war nicht Adries' Schuld.
Bertaud wusste sehr gut, wer die Schuld trug. Er war wütend auf sich selbst, weil er sich gestattete, sich an die singende Klarheit zu erinnern, mit der ein Greif seine Bahn über einen leuchtenden Himmel zog.
Er träumte in dieser Nacht, er würde mit ausgebreiteten Schwingen auf feurigen Winden reiten. In seinen Träumen ließ er sich von frohlockenden Stürmen aus Sand und Wind zu kristallenen Höhen emportragen, so dunkel und rein, dass sogar Feuer erstarrte und wie Glas zersplitterte ... Als er am Morgen erwachte, war er erschrocken von der erdgebundenen Schwere des eigenen Menschseins.
Meriemne, die Älteste unter allen Magiern Farabiands, fand seine unbeholfenen Schilderungen der Wüste und der Greifen
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