Grenzen der Sehnsucht
seit jeher, Kinder sind gerne bei mir. Bei meiner Tochter dachte ich sofort: Sie hat meine Augen. Unser Verhältnis war anfangs ein wenig distanziert, aber sie traut sich mit jedem Mal ein Stückchen näher ran. Und wie sich herausgestellt hat, teilt sie mit mir die Leidenschaft für Malerei.“
In seinem Atelier neben dem Wohnzimmer hängen Bilder von Tieren und Pflanzen, die er zuletzt gemalt hat. Motive, die im ersten Augenblick einfach nur von unbekümmerter Lebensfreude zu zeugen scheinen. Aber auch in diesen Bildern finden sich die harten, wuchtigen Pinselstriche wieder, die kräftigen Farben, die so bedeutungsschwer über das, was man im ersten Moment zu sehen bekommt, hinausverweisen. Auf tiefer liegende Emotionen, Sehnsüchte, Seelenzustände. Wie Symbole in einem Traum: Ein galoppierendes Pferd, das in seiner Unbändigkeit von keinem aufzuhalten ist. Überdimensionale Tulpen, die sich schützend aneinander schmiegen. Oder, wie auf einem anderen Bild, ein bisschen zerzaust wirken und so aussehen, als hätten sie einer heftigen Sturmböe standgehalten.
Bevor ich mich von Rolant de Beer verabschiede, drücke ich meine Bewunderung für die Designerlampe in seinem Wohnzimmer aus. Sie streut ein warmes Licht.
„Das ist keine Designerlampe“, sagt de Beer.
Ach nein?
„Nein, das sind einfach nur Obstkisten von Tengelmann, die ich über ein Gestell mit einer Glühbirne gestülpt habe.“
Ich werfe einen zweiten Blick drauf.
Verblüffend, wozu eine künstlerische Ader alles gut sein kann.
Progressiv Abfeiern in München:
Eine Lektion für schwanzgesteuerte Schwule und Heteros
Münchner Nachtleben: Da denkt man in der Regel an zünftige Brauhäuser oder an gediegene Cocktailbars, die auf ein gesetztes, biederes Publikum abzielen und in denen noch der Muff aus jenen Zeiten vorherrscht, als Kir Royal das unangefochtene Trendgetränk war. Doch das sind freilich böse Vorurteile. Auch im Zentrum des bayrischen Brauchtums werden hin und wieder kulturelle Impulse gesetzt.
Freitagnacht an der Hansastraße, weit abseits von Hofbräuhaus, Glockenbachviertel und edlem Schwabinger Schick. Keine Fußgänger weit und breit. Ich halte nach irgendeiner Hausnummer Ausschau, um mich zu orientieren, aber auf dieser Straßenseite ist nur eine endlos lange Mauer und auf der anderen ein großes, dunkles Nichts. Es ist kalt; eine leicht bekleidete Prostituierte sitzt in einem Sportwagen und hält nach Freiern Ausschau. Da höre ich donnernde Bässe und kreischende Gitarren, die aus einem alten Werkgelände dringen. Dabei handelt es sich um das Feierwerk: eine Münchner Institution, wie man mir später erklärt, die als eine Oase des Untergrunds gilt, mit vollgekritzelten Wänden und improvisiertem Interieur. Da mag man es fast ein bisschen inkonsequent finden, dass der Sekt in echten Kelchgläsern ausgeschenkt wird. Pappbecher hätten hier mehr Stil.
Am DJ-Pult waltet und wuselt Thomas Lechner, der Macher vom Candy Club. So heißt die etwas andere schwul-lesbische Party, die hier regelmäßig tobt und auf der musikalisch mal homo-untypische Wege eingeschlagen werden.
Lechner zielt auf ein Publikum, das die Schnauze voll hat vom Rauf- und Runterdudeln der Charts, von Christina Aguilera und Britney Spears. Die Idee scheint Anklang zu finden. Zum heutigen „Gitarren-Special“ ist die Hölle los.
So richtig bizarre Marilyn-Manson-Typen und Pogo-Punker sind allerdings kaum dabei. Eigentlich fallen die Leute hier mit ihrem Outfit gar nicht besonders aus dem Rahmen. Mag sein, dass dafür keinen rechten Blick hat, wer Berliner Verhältnisse gewohnt ist – ein durchschnittlicher CSU-Stadtrat hingegen würde vielleicht längst Chaos und Anarchie wittern. Allein schon deshalb, weil ihm vereinzelt das Peace-Zeichen als Accessoire ins Auge fiele, das im Vergleich zu manchen Graffitisprüchen an den Wänden ja noch relativ unpolitisch daherkommt.
Drei Tage später treffe ich Lechner zum späten Frühstück in der City. Das Café am Stadtmuseum hat gerade seine Türen geöffnet.
Wir reden über Musik. Am Vorabend hatte ich noch im Kino eine Komödie gesehen, School of Rock, in der sich ein erfolgloser Rocksänger an einer Grundschule als Lehrer ausgibt und den überraschten Schülern eine Lektion erteilt, die nicht auf dem Lehrplan steht: Rockmusik sei ein Lebensgefühl, bei dem es nicht darum gehe, perfekt zu sein, sondern es den Bossen zu zeigen.
Lechner sagt nun etwas, das irgendwie ähnlich und doch anders klingt: „Rockmusik
Weitere Kostenlose Bücher