Grenzen setzen – Grenzen achten
werden. Das Suchtobjekt kann sein: Alkohol, Medikamente, Drogen, Arbeit, Zigaretten, Kaffee, Spielen, Geld, Bücher, Beziehungen, Sexualität. Karl Jaspers hat die Ursache der Sucht philosophisch formuliert und gesagt, dahinter stecke immer „eine besondere und gesteigerte Leere“. Oft ist es die mangelnde Erfahrung von Geborgenheit bei der Mutter, so dass der ungarische Psychotherapeut und Begründer der Schicksalsanalyse, Leopold Szondi, die Sucht als „permanente Prothese für die veruntreute Mutter“ bezeichnet. Oft hat ein süchtiger Mensch als Kind durchaus Geborgenheit bei der Mutter erfahren. Aber er hat es nicht geschafft, den Schritt heraus aus dieser Geborgenheit zu tun, hinein in die Realität einer Welt, die nicht alle seine Wünsche erfüllt.
Anfälligkeit und Abhängigkeit
Für Suchtstörungen sind vor allem Menschen anfällig, die eine hohe Sensibilität für unangenehme Gefühle und eine geringe Frustrationstoleranz haben. Beide Eigenschaften zeigen die Unfähigkeit, sich abzugrenzen. Süchtige Menschen werden überschwemmt von negativen Gefühlen. Sie können sich nach innennicht abgrenzen gegenüber diesen Gefühlen. Und sie sind daher auch unfähig, sich nach außen hin abzugrenzen. Ein Kennzeichen der Sucht ist die Abhängigkeit. Man kann nicht mehr ohne den Alkohol, das Essen, die Arbeit sein. Letztlich ist Sucht immer verdrängte Sehnsucht. Der Mensch sehnt sich nach absoluter Geborgenheit und Liebe. Der Süchtige erwartet sich von äußeren Dingen die Erfüllung seiner Sehnsucht. Dafür braucht er immer mehr Geld, immer mehr Drogen, immer mehr Zuwendung. Aber kein Geld, kein Erfolg, keine Bestätigung kann die Sehnsucht nach Liebe zufrieden stellen. Der Süchtige wird daher nie satt. Es stimmt, was André Gide einmal gesagt hat: „Das Furchtbare ist, dass man sich nie genügend betrinken kann.“
Genauso gefährlich wie die stofflichen Süchte, die zur Abhängigkeit von Alkohol oder Medikamenten führen, sind die sogenannten nicht-stofflichen Süchte, wie Spielsucht, Arbeitssucht, Beziehungssucht, Geltungssucht, Sexsucht. Arbeitssucht wird heute in der Gesellschaft oft sogar honoriert. Man meint, die Arbeitssüchtigen seien besonders fleißig und würden daher der Firma von hohem Nutzen sein. Der Arbeitssüchtige arbeitet zwar viel, aber es kommt wenig dabei heraus. Weil er die Arbeit braucht, kann er nicht delegieren und muss sogar seine freie Zeit mit Arbeit zustopfen. Er kann sich selbst in seiner Durchschnittlichkeit nicht aushalten. Er beweist seinen Wert durch seine Arbeit und versteckt sich hinter ihr. Doch weil er keinen Abstand zur Arbeit hat, ist er nicht kreativ oder innovativ. Er krallt sich an seiner Arbeit fest, weil er sie wie einen Schild braucht, mit dem er sich vor Infragestellung und Kritik schützen muss. In seiner Arbeitssucht nimmt er die Grenzen seiner Belastbarkeit nicht mehr wahr. Irgendwann rebelliert der Körper. Arbeitssüchtige leiden am Burnout-Syndrom, sie fühlen sich ausgebrannt und leer oder leiden anHerz-Kreislauf-Krankheiten. Wer immer leistungsfähig sein will, schlittert in eine chronische Leistungsunfähigkeit hinein. Er möchte etwas leisten. Aber es geht einfach nicht mehr. Müdigkeit, Antriebslosigkeit und Lustlosigkeit sind die gesunde Reaktion seiner Psyche auf das übertriebene Leistungsbedürfnis. Psychologen schätzen, dass es allein in Deutschland mehr als 200.000 Arbeitssüchtige gibt.
Heilsamer Verzicht
Ein Bankangestellter erzählte mir, wie es ihn immer wieder schockiere, wie maßlos oft gerade junge Menschen an der Börse Gewinne erzielen möchten. Sie meinen, sie könnten morgens eine Aktie kaufen und am Abend zum doppelten Preis wieder verkaufen. Da entsteht eine regelrechte Sucht. Doch diese Maßlosigkeit hat viele in den finanziellen Ruin gestürzt. Auch an der Börse wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Auch hier zeigt sich: Wer sich nicht beschränken kann, der geht an seiner Maßlosigkeit zugrunde. Die Fähigkeit, nein zu sagen, sich mit dem zu begnügen, was ich habe, nimmt heute immer mehr ab. Die Gesellschaft verführt uns dazu, alles ohne Maß zu wollen. Man kann sogar maßlos fasten. Das zeigt gerade die Magersucht, die so schwer zu heilen ist. Weil man so schlank sein möchte, wie es in der Werbung angepriesen wird, fastet man sich zu Tode. Man verliert das Maß für das Essen und für das Fasten.
Damit die Sucht geheilt wird, braucht es einmal die Fähigkeit, zu verzichten. Das ist letztlich die Fähigkeit, sich
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