Grenzenlos ermitteln - 23 Raetsel-Krimis
für ein Dutzend Kühe, doch lediglich drei waren dort angebunden. Während sie gemächlich mit ihren dünnen Schwänzen nach Fliegen schlugen, musterten sie die Besucher mit ihren groÃen Augen. An einem Seil, das von einem wuchtigen Eichenholzbalken herabhing, baumelte die Leiche Christa Wohlrabs, darunter lag ein umgestürzter dreibeiniger Holzschemel. Wohlrab blieb gleich neben der Tür stehen. Wieder benutzte er seinen Ãrmel als Taschentuchersatz. Michelle wandte den Blick ab.
»Meine Frau hat heut früh sogar erst noch die Tiere versorgt. Sie war immer pflichtbewusst und ordentlich«, sagte Wohlrab mit belegter Stimme, während Maria den Stall und die Tote in Augenschein nahm. »Da auf dem Schemel hat sie sich oft bei der Arbeit ausgeruht.«
Die Tote wies die üblichen, hässlichen Zeichen des Erstickungstodes auf. An der schlaff herabhängenden rechten Hand der Toten steckte der Ehering genau auf Augenhöhe Marias und schwang sanft hin und her wie ein hypnotisches Pendel. Keine sichtbaren Anzeichen von Fesselspuren, stellte Maria fest, als sie vorsichtig die Handgelenke untersuchte.
»Haben Sie eine Idee, warum Ihre Frau das getan hat?«
»Das Alter. Sie kränkelte dauernd«, sagte Wohlrab düster. »Sie wurde immer schwächer, aber ⦠sie wollte nicht fort und den Hof aufgeben. Wir haben die Arbeit hier kaum noch geschafft. Christa hat immer gesagt, sie wolle hier sterben. Auf dem Hof.«
Maria nickte nachdenklich. »Haben Sie denn keine Hilfe bei der Arbeit?«
Wohlrabs Schultern sanken noch tiefer. SchlieÃlich schüttelte er den Kopf. Seine Stimme war sehr leise. »Keine.«
»Und was machen Sie dann jetzt?«, erkundigte sich Michelle. »So allein, meine ich.«
Der alte Mann seufzte. »Ich ⦠werde ins Seniorenstift ziehen.«
Maria betrachtete die Szene. Den Schemel, der unter der Leiche lag, eine alte Holzleiter an der Wand. Es war sicher schwierig für die gebrechliche alte Frau gewesen, das Seil mithilfe der Leiter an dem Balken zu befestigen. Schwierig durchaus, aber keineswegs unmöglich.
Maria drehte sich zu Wohlrab herum. »Es tut mir leid, Herr Wohlrab, aber ich muss Sie vorläufig festnehmen.«
»Warum?«, fragte Wohlrab erschrocken.
»Wieso?« Auch Michelle sah verwirrt aus.
»Wie Sie Ihre Frau ruhiggestellt haben, wird die Obduktion ergeben, aber Sie haben sie erhängt â und damit umgebracht.«
Warum ist sich Maria sicher?
Lösung
Ein Schemel ist höchstens kniehoch. Christa Wohlrabs Hände sind aber auf Augenhöhe Marias, daher hängt sie deutlich höher und muss also »Hilfe« gehabt haben.
Claudia Schmid
Mannheim 2020
Dunkel. Diese elende Dunkelheit. Und dieses nervenaufreibende Geräusch des tropfenden Wassers. Die Matratze ist widerlich. Warum bin ich hier? Meine Familie ist nicht reich, es ist sinnlos, sie zu erpressen. Wie blöd! Gehe ans Auto, als der Typ mich nach dem Weg fragt. Wo es hier auf die Rheinau geht? Der hätte nur geradeaus fahren müssen, vom Seckenheimer Wasserturm kommend. Genau das wollte ich ihm sagen. Ich also ans Auto und beuge mich zu dem Fahrer. In dem Moment schnellt seine Hand hervor und presst mir einen stinkenden Lappen vor die Nase. Als ich wieder zu mir komme, liege ich hier drin. Es muss unter einer Autobahn sein, ich höre Fahrgeräusche von Autos. Und Züge. Ein Bahnhof muss ganz in der Nähe sein, denn manche Züge bremsen und fahren dann wieder an. Mein linker Fuà pocht. Ich ertaste einen Verband.
Kriminalhauptkommissarin Melanie Härter schob einen roten Gummibären zwischen ihre Backenzähne und zermalmte ihn mit kräftigen Bewegungen ihres Kiefers. Ihr Blick schweifte durchs Zimmer und blieb am Fenster hängen. Wasser rann an der Scheibe herunter, verschwamm die Aussicht. Ihr Handy vibrierte, zeigte den Namen ihres Sprösslings an. Unwillig nahm sie das Gespräch entgegen. Felix war im Moment ziemlich anstrengend. »Was is?«, raunzte sie.
»Ich übernachte heute bei Martin, okay?«
Martin, der war vermutlich mit ihm in einer Klasse. »Ist mir recht.«
Sie und Felix lebten allein. Von seinem Vater hatte sie sich schon vor Jahren getrennt.
Die Tür zu ihrem Büro wurde aufgerissen. Ihr Kollege Jörg Kenner kam herein, legte einen gepolsterten Umschlag auf ihren Schreibtisch. »Post für dich.«
Melanie schaute auf das Kuvert.
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