Grenzenlos ermitteln - 23 Raetsel-Krimis
liebsten würde ich mich irgendwo verkriechen.
»Kennst du das Tal bei Sur En da Sent, die Val dâUina?«, fragte mich Reto Müller gestern und schaute mich neugierig an.
»Nicht wirklich. Spielt das eine Rolle?«
Müller tat so, als würde er nachdenken, er strich sich über seine spärlichen aber gut eingeölten Haare, prüfte sein Schwänzchen am Hinterkopf und schüttelte dann den Kopf. »Nein. Die Tour ist unproblematisch, die Gruppe besteht aus einem deutschen Ehepaar, einem Italiener und einer Frau aus Zürich. Schaffst du das?«
»Natürlich!«
»Gut. Du triffst die Leute morgen um acht bei der alten Holzbrücke!« Er schob mir einen Briefumschlag zu. Dann noch eine miserable Kopie aus einem Wanderbuch. »Die Zürcherin interessiert mich besonders!«
Die Zusammenarbeit zwischen Reto Müller und mir funktioniert nicht schlecht, Müller besorgt mir wanderlustige Zeitgenossen, die etwas Spezielles suchen, ich führe diese einen Tag lang durch die Seitentäler des Engadins, erzähle unterwegs Geschichten, so kommen in den Sommermonaten einige Tausender zusammen, ohne dass ich wirklich das Gefühl von Arbeit habe. Müller ist interessiert an den persönlichen Lebensumständen meiner Wandergenossen, für besonders pikante Geschichten gibt es jeweils einen Extrabonus.
Das Duschen überspringe ich, schlüpfe gleich in meine Wanderkleider und in die feuchten Schuhe. Um acht bin ich bei der alten Holzbrücke. Meine Wandergenossen stehen unter dem Dach und schauen in den nebligen Morgen.
»Das ist nicht das beste Wanderwetter!«, erklärt der Mann mit dem Seppelhut.
»Keine Angst, das gibt sich«, sage ich und stopfe die Regenjacke demonstrativ in den Rucksack. Dann mache ich die Runde. »Mein Name ist Claudio Mettler, ich denke, wir werden zusammen einen guten Tag haben!«
»Signorâ Mettler, sind diese Schuhe gut für die Wanderung?« Luca Sardo, ein bärtiger Riese, zeigt mir seine Bergschuhe, die gestern wohl noch als Sonderangebot in irgendeinem Sportgeschäft am Trockenen standen.
»Perfetto!« Ich lächle aufmunternd, der gute Luca wird gegen Abend vor lauter Blasen kaum mehr gehen können. »Hier in den Bergen duzen wir uns. Einverstanden?«
Lena Reiffer, die Dame aus Zürich, setzt eine Mütze auf, die perfekt zu ihrem Outfit passt. »Wollen wir?«
Bevor ich etwas sagen kann, setzen sich meine Leute in Bewegung. Vera und Kurt Strinzl aus dem Schwarzwald kontrollieren mit furchterregend hin und her schwingenden Wanderstöcken die Spitze der Gruppe.
Die FahrstraÃe steigt steil an, das Tal verengt sich, wir wandern hoch über dem in der Schlucht schäumenden Bach eine steile Bergflanke entlang. Die Höhe und das teilweise morsche Geländer treiben mich vom Abhang weg. Nur nichts anmerken lassen, Mettler, ein nicht ganz schwindelfreier Wanderleiter ist das letzte, wofür Leute Geld ausgeben wollen. Doch niemand bemerkt etwas, die beiden Schwaben sind mit ihrem Atem beschäftigt, den Italiener drücken bereits die Schuhe und die Reiffer erzählt von ihrem ersten Ehemann, der ein ziemlich übler Bursche gewesen sein muss.
»Es gibt wirklich sehr engstirnige Bauern!« Strinzl erzählt laut Geschichten über Kühe, die Wanderer auf offener Weide angegriffen haben. Seine Frau lässt den Redeschwall des selbst ernannten Experten still und bleich über sich ergehen. »Wenn da was passiert, musst du so ein Tier aus dem Verkehr ziehen!«
»Ma non e possibile!«, ruft der Italiener. »Das ist doch nicht möglich!«
»Doch«, mischt sich die Reiffer ein, »das habe ich auch schon gehört.«
Nun erklärt Luca, welche Teile der Kälber und Rinder wie zubereitet werden sollten. Kurt lässt sich durch diesen kulinarischen Ausflug nicht aus dem Konzept bringen. Nachdem wir unfreiwillig erfahren haben, unter welchen Umständen Mutterkühe ihre Kälber verteidigen, warum schlecht erzogene Hunde immer ein Risiko darstellen und wie Kurt Strinzl einen Hund erziehen würde, verschärfe ich das Tempo, bis ihm die Puste ausgeht.
Endlich weitet sich das Tal, der Bach umflieÃt groÃe Steine, rechts tiefgrüne Weiden. Zwischen hohen Gipfeln liegt etwas oberhalb am Hang die erste Alp. Dann tauchen wir ein in einen Lärchenwald. Bei einer Jägerhütte setzen wir uns auf eine Bank, Luca verteilt
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