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Grenzfall (German Edition)

Grenzfall (German Edition)

Titel: Grenzfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Kröger
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sitzen im Gras und putzen Gemüse. Kinder laufen zwischen den alten Bäumen umher. Fetzen einer Akkordeonmelodie dringen in die Bibliothek.
    Wie ein Gemälde, schießt es ihr durch den Kopf. Schindlers Vision eines paradiesischen Roma-Staates.
    Wedemeier steht ebenfalls auf und geht zum Fenster. Zum ersten Mal wirkt er unschlüssig. Er macht eine Handbewegung, als wolle er die Balkontür aufreißen.
    In diesem Moment dreht sich der Mann draußen um – und lächelt ihn an. Goldzähne blitzen in der Sonne. Wedemeier weicht zurück. Setzt sich wieder in den Sessel. Sieht Nick an. Lange.
    »Also gut. Stellen Sie sich vor, es meldet sich morgen bei der Polizei ein Augenzeuge, der gesehen hat, dass Ihre Mandantin das Haus erst betreten hat, als Uwe Jahn schon im Hof lag.« Er lauscht dem Klang seiner Stimme. »Aus dem achten Stock gesprungen, weil ihn Schuldgefühle erdrückten, seit die Zigeunerin aufgetaucht war.«
    »Der Mann hatte Druckstellen an den Schultern.« Nick, schärfer jetzt. »Die wissen, dass er nicht selbst gesprungen ist.«
    Wedemeier pariert sofort. »Die Behörden lassen Sie mal meine Sorge sein.«
    Mattie könnte kotzen.
    Nick wirft ihr einen kurzen Blick zu. »Akzeptabel?«
    Sie nickt. So oder ähnlich hat sie sich vorgestellt, dass einer wie Wedemeier tickt. Fehlen nur noch seine Bedingungen.
    »Dafür will ich von Ihnen«, er zeigt mit dem Finger auf Nick, »hier und heute eine schriftliche Unterlassungserklärung, dass Sie weder über den Jagdunfall noch über den aktuellen Fall berichten und niemand anders dazu anstiften. Andernfalls«, er hat sich wieder unter Kontrolle, das kann sie spüren, »nun, Aussagen lassen sich jederzeit widerrufen. Zeugen können verschwinden.« Er steht auf und nimmt ein Netbook von der Anrichte. »Geben Sie mir fünf Minuten.«
    Sobald er aus dem Zimmer ist, läuft Mattie zum Fenster.
    Liviu wirft ihr einen fragenden Blick zu. Thumbs up. Er grinst. Mattie gestikuliert. Sie sollen abfahren, nur für den Fall, dass Wedemeier auf die Idee verfällt, die Polizei zu rufen. Landfriedensbruch ist kein Bagatelldelikt. Liviu nickt.
    Ein lauter Pfiff, und kurz darauf ist der Park so leer wie zu Beginn ihres Besuches.
    Matties Anspannung lässt schlagartig nach. Statt Euphorie folgt nur Erschöpfung. Für Adriana haben sie erreicht, was möglich ist. Und Wedemeier kann ungestört weiter Morde und Brände in Auftrag geben. Über die Ermittlungsbereitschaft der Behörden macht sie sich keinerlei Illusionen.
    Nick sitzt vornübergebeugt, das Gesicht in den Händen vergraben.
    »Tut mir leid, Nick.« Sie berührt seine Hand. »Ich finde diesen Deal genauso unerträglich wie du.«
    Er winkt ab. »Was bedeutet schon ein Artikel mehr oder weniger?«
    Artikel? Nick denkt in diesem Moment an seinen Artikel? Der kreist ja nur noch um sich selbst.
    Wedemeier kommt zurück. Wortlos legt er ein Papier und einen Stift vor Nick auf den Tisch. Kein Wort fällt, während er die Erklärung durchliest und unterschreibt.
    Der Makler steht am Fenster und betrachtet seinen Park. Er dreht sich nicht um, also verlassen sie den Raum, ohne sich zu verabschieden. Gute Wünsche sind auch unangebracht.
    Ihre Schritte knirschen auf dem Kies. Mattie schließt den Bus auf, öffnet die Tür für Nick und startet den Motor. Langsam lässt sie den Bus rückwärts rollen, bis sie wenden und durch das Tor zurück auf die Straßen fahren kann.
    »Nick –«
    »Sag jetzt nichts, bitte.« Er stellt die Beine auf das Armaturenbrett, wie sie es sonst immer macht. »Ich komm schon klar.«
    Sie fährt durch das Dorf. Lässt den Blick auf der Straße. Beide Hände am Steuer. Bringt nichts, einen Streit vom Zaun zu brechen. Nick ist, wie er ist. Überleg dir lieber, wie du Wedemeier drankriegst, Mattie Junghans.
    Zehn Minuten später. »Am Ende gewinnen immer die Guten, schon vergessen?«
    Er lacht auf und zieht die Nase hoch. Nick wird’s auch diesmal überleben.

1. Juli 2012, Banyuls
Languedoc-Roussillon, Frankreich
    Sie schlägt die Augen auf. Das Meer. Blau. Türkisblau. Ihr ist schwindelig. Braune Felsen. Falsche Landschaft. Ihre Hand tastet nach dem Griff. Festhalten.
    »Mir wird schlecht.« Das Auto bremst, biegt ab. Ein Parkplatz. Ein Strand. Gesine reißt die Tür auf und übergibt sich. Es kommt nur Galle.
    Sie lässt sich in den Sitz fallen und schließt die Augen.
    »Wo bin ich?« Die Frage bohrt sich in ihr Bewusstsein. Wo ist sie? Der Fahrersitz ist leer.
    Sie hat geträumt. Ein Gesicht, verschwommen.

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