Grenzgaenger
heiße Liebesbriefe von einem Henk, allerdings schon fast zwei Jahre alt, Briefe vom Vater, alte Kinokarten, Erinnerungskram eben.»
«Meinst du, das ist sie?» Toppe nahm ein Foto in die Hand, das Heinrichs zur Seite gelegt hatte.
«Ich glaube schon. Passt jedenfalls zu Norberts Beschreibung, außerdem ist sie auf fast allen anderen Fotos auch drauf.»
Toppe nickte. Es war ein Porträt: ein herbes Gesicht mit hohen Wangenknochen und weit auseinanderstehenden, hellen Augen, die selbstsicher in die Kamera blickten.
Er legte das Foto wieder auf den Tisch und zog die Schultern hoch. «Wo Stein bloß bleibt?»
Oben polterte es. Es hörte sich an, als wäre ein Stuhl umgekippt. Alle drei sahen hoch und hielten einen Augenblick die Luft an. Schließlich lachte Astrid leise.
Auf dem Gang hörte man eilige Schritte. Toppe ging zur Tür. «Ach, Herr Stein, da sind Sie ja.»
Dr. Stein sah sich kurz im Zimmer um, stellte ein paar knappe Fragen. Er war wie immer in Eile, aber um vierzehn Uhr habe er mehr Zeit, sagte er. Toppe und er verstanden sich gut. Jeder hielt den anderen für zuverlässig, fähig und fix. Man brauchte nicht viel zu reden.
Gemeinsam gingen alle vier die Treppe hinunter, aber Stein verabschiedete sich sofort. Heinrichs sah sich das Haustürschloss an. Es gab wirklich nur innen eine Klinke. Außen war als Griff ein schwarzes Kunststoffrechteck angebracht mit einem Relief aus unregelmäßigen Dreiecken. Toppe sah sich die Klingelschilder an: dreißig Stück. ‹J. Bruikelaer› fand er schnell. Eine ganze Reihe Schilder neben den Klingelknöpfen war leer. Offensichtlich war das Wohnheim nicht voll belegt. Gleich neben ‹J. Bruikelaer› stand ‹B. v. Gimborn›.
«Es scheint eine direkte Klingelleitung in die Zimmer zu geben», sagte er. «Ob sie die Tür dann wohl selbst geöffnet hat?»
«Moment. Noch ist ja gar nicht raus, dass sie überhaupt jemandem die Tür geöffnet hat.» Heinrichs wollte die vage Hoffnung, es könnte sich vielleicht doch um einen simplen Selbstmord handeln, noch nicht aufgeben.
Langsam gingen sie zum Krankenhaus hinüber, am Pförtner vorbei, der sie nicht ansprach, obwohl keine Besuchszeit war, und fuhren mit dem Aufzug in den Keller.
«Warum müssen Pathologien eigentlich immer in den Kellern liegen?», fragte Heinrichs. Es klang dumpf in dem kalten, neonbeleuchteten Gang mit den blauen Stahltüren.
«Vermutlich», feixte Toppe, «vermutlich, weil es diesen Patienten schnurz ist, ob sie die Sonne sehen oder nicht.»
«Aber dem Pathologen ist das keineswegs schnurz», knurrte Bonhoeffer hinter ihnen. Sie hatten ihn durch das laute Hallen ihrer Schritte gar nicht kommen hören.
«Ganz schön makaber heute, Helmut.» Er lachte. «Das bin ich doch sonst von dir nicht gewöhnt.»
Sie schüttelten Hände. Bonhoeffer kam Toppe in der langen, weißen Gummischürze fremd vor.
«Tja, im Moment ist für euch an der Toten nicht viel zu sehen, ich bin mitten in der Arbeit.»
Sie wussten alle, was er meinte, und keiner von ihnen war erpicht darauf, sich die Tote jetzt schon anzusehen.
«Aber mit Düsseldorf habe ich gerade telefoniert», fuhr Bonhoeffer fort. «Die sind noch nicht ganz fertig, sie haben mir jedoch die endgültigen Ergebnisse in spätestens zwei Stunden zugesichert. Das heißt also, so gegen eins.»
«Das ist gut», fand Toppe, «um zwei trifft sich die Soko.»
«Weißt du was», überlegte Bonhoeffer, «ich könnte mit meinen Ergebnissen dazukommen. Ich habe heute Nachmittag sowieso in Kleve zu tun.»
Er öffnete die Tür zu seinem winzigen Büro. «Wenn ihr noch reinkommen wollt …»
«Nee, danke», winkte Heinrichs entschieden ab. «Hier riecht’s mir zu streng.»
Toppe war unentschlossen. Er hätte gern noch mit Arend eine kleine Weile seine halbgaren Eindrücke verdaut, aber dies schien kaum der rechte Augenblick.
Schon im Gehen fiel ihm noch ein: «Hast du die Tote eigentlich gekannt? Sie hat doch hier im Haus gearbeitet?»
«Nein.» Bonhoeffer schüttelte den Kopf. «Ich habe sie vorher noch nicht einmal gesehen.»
«Und was machen wir jetzt?», fragte Astrid, als sie wieder im Aufzug standen.
«Na ja, viel können wir noch nicht tun», gab Toppe widerstrebend zu. « Aber ich würde wenigstens gern kurz mit dieser Freundin reden, Barbara van Gimborn.»
Sie waren im Foyer angekommen.
Die Hälfte der Halle hatte man mit weißen Spaliergittern abgetrennt. Dahinter befanden sich kleine Tischgruppen und eine lange weiße Theke.
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