Grenzgaenger
fragte Toppe, der sehr wohl gemerkt hatte, wie sauer Heinrichs über van Appeldorns Abfuhr war.
«Wenn’s doch anscheinend keinen interessiert», murrte Heinrichs.
«Jetzt hab dich nicht so, red schon.»
«Also gut, es hat da mal in den Fünfzigern eine ganz spektakuläre Geschichte gegeben, muss so 54 oder 55 gewesen sein. Da hat der KGB zwei Leute in die, wie’s damals noch hieß, ‹SBZ› entführt.»
«SBZ?», fragte Astrid leise.
«Sowjetisch besetzte Zone», flüsterte van Gemmern zurück, «DDR.»
«Ja, und zwar den Journalisten Karl Wilhelm Fricke, der später die ganze Sache aufgedeckt hat. Und ein Jahr vorher den damaligen Chef vom Verfassungsschutz, Otto John. Der Fricke hat herausgefunden, welchen Cocktail die KGBler ihm in sein Getränk gekippt hatten. Nämlich eine Mixtur aus Scopolamin und Atropin. Das ist im kriminaltechnischen Labor in Heidelberg untersucht worden, damals.»
«Das ist ja ’n Ding», staunte Toppe.
«Nicht wahr? Sag ich doch», brummte Heinrichs zufrieden. «Was ich dabei aber ganz besonders interessant finde: Vor ein paar Wochen gab’s genau über diese Geschichte einen Bericht im Radio, WDR 2. Und da haben sie ganz ausführlich über die Substanzen und die Wirkung dieses Giftcocktails geredet.»
Astrid schien von dieser Information am wenigsten beeindruckt.
«Wo kriegt man denn als Normalsterblicher dieses Gift her?», erkundigte sie sich bei Bonhoeffer.
«Im Krankenhaus kommt man ganz leicht ran. Da ist beides auf dem Anästhesie-Wagen, kleine Glasampullen. Atropin ist ein Herzmittel zur Verkürzung der AV-Überleitung.»
«Ach was?» Van Appeldorn konnte sich die Unterbrechung nicht verkneifen. «AV-Überleitung, sehr erhellend.»
«Nicht so wichtig», winkte Bonhoeffer ab. «Man gibt Atropin bei Operationen zur Prämedikation, weil es die Sekretion der Drüsen hemmt. Scopolamin ist ein Medikament, das man bei Parkinsonismus gibt. Es wird aber auch bei Inhalationsnarkosen eingesetzt. Ist das verständlich, Norbert?»
«Und in anderen Bereichen werden diese Substanzen nicht verwendet?», fragte Toppe.
Bonhoeffer verneinte. «Okay, beides gibt es auch noch als Augentropfen, aber das ist es dann auch schon. Die tauchen wirklich nur im medizinischen Bereich auf, jede für sich, einzeln.» Er kratzte sich am Hinterkopf. «Dass jemand beides mixt, scheint merkwürdig. Es hört sich fast so an, als hätte jemand Heinrichs’ Geschichte gekannt.»
«Nicht, dass sich das jetzt auch noch zu einem Spionagefall auswächst», warf van Appeldorn entnervt ein.
«Ach was!» Toppe wurde ungehalten. «Das scheint heute wirklich nicht dein Tag zu sein, Norbert. Überleg doch mal, da braucht doch nur einer Radio gehört zu haben … Das ist doch eine feine Art, jemanden umzubringen: sauber, ruhig, unblutig, geplant.»
Er stand am Fenster und sah auf den Parkplatz hinunter. Aus einem grauen Opel Kadett stieg eine Frau, zog sich ihren Pullover über den Kopf und warf ihn auf den Fahrersitz. In ihrem dünnen T-Shirt stand sie einen Augenblick da, dann nahm sie die Schultern zurück und ging entschlossenen Schrittes auf den Eingang des Präsidiums zu.
Es war wirklich sehr warm. Toppe öffnete beide Fensterflügel.
Van Appeldorn legte die Beine auf den Schreibtisch und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück.
«Moment mal», meldete sich Breitenegger aus seiner Ecke. «Was haben wir bis jetzt? Da ist also eine junge Krankenschwester, José Bruikelaer, die im Wohnheim lebt. Am Samstag bekommt sie Besuch von ihrem Mörder … Sie trinkt Kaffee. Anscheinend wohl freiwillig, oder gab es Spuren von Gewaltanwendung bei der Toten?»
Bonhoeffer schüttelte den Kopf: «Nicht ein Kratzer, nicht einmal ein blauer Fleck.»
«Der Täter …», fuhr Breitenegger fort.
«… oder die Täterin», unterbrach Astrid ihn.
«… oder die Täterin», wiederholte Breitenegger gutmütig, «hat José Bruikelaer unauffällig einen Giftcocktail in den Kaffee gekippt. Dann hat er …», er grinste, «… oder sie … gewartet, bis die Wirkung eingesetzt hatte, das Seil aus der Tasche gezogen, die Pflanze von der Decke genommen …»
Toppe gab einen unbestimmten Laut von sich.
«Nein, ich bin kein Hellseher, Helmut, ich war bloß dabei, als Norbert seinen Bericht geschrieben hat. In Zukunft werde ich übrigens nur noch Sechser-Dübel nehmen … Hat also die Pflanze runtergenommen, den Strick geknüpft, die Bewusstlose hochgehoben, reingehängt und fallen gelassen.»
«Eindeutig», stimmte
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